Reisetagebuch von Christian Kaiser

Kategorie: Sydney (Seite 2 von 2)

Wine & dine in the other big smoke

Es holpert und quietscht andauernd, die weichen Sitze verströmen den Charme vergangener Zeiten, doch wollten wir es uns nicht nehmen lassen, eine Strecke in Australien im Zug zurückzulegen. So setzten wir uns also morgens um acht Uhr in Melbourne in den «Overland» Express und holperten nach Nordwesten. In Melbourne? Ach ja, davon will ich ja zuerst erzählen…

Am 8. März flogen wir von Sydney nach Melbourne. Tiger Air, Billig-Airline, Schnäppchen. Und wieso: Ende Dezember hatte ich in Buenos Aires per Zufall rausgefunden, dass Parov Stelar am 12. März in Adelaide an einem Open-Air-Konzert auftritt. «Da könnten wir ja rasch hin, ist ja nicht weit von Sydney.» – Zuerst nur so im Scherz dahingesagt, fanden wir bald raus, dass sich daraus tatsächlich ein guter Ausflug machen liess. Gesagt, gebucht.

So packten wir also letzten Mittwoch unser Handgepäck und fuhren zum Domestic Airport. Drei Stunden später sassen wir mitten in Melbournes CBD in einer lauschigen Seitengasse beim Business Lunch. Okay, wir nicht Business, aber die Geschäftsleute rund um uns herum schon. Melbourne präsentierte sich nämlich wirklich grad von der geschäftigen Seite. Dass die beiden Städte sehr unterschiedlich sind, hatten wir ja schon gehört, aber vom Ausmass waren wir dann doch etwas überrascht. Im Vergleich zu Sydney ist «Mäb’n» hektisch, eng und laut.

Hosier Lane, Street Art Gallery

Den Nachmittag und den ganzen Donnerstag verbrachten wir mit Stadtbesichtigung. Die Innenstadt ist gut zu Fuss oder mit dem Gratistram zu erkunden und danach findet man am Ufer des Yarra-Flusses garantiert ein schönes Plätzchen in einem der vielen Restaurants oder Biergärten. Was in der Schweiz oft abwertend als Graffiti bezeichnet wird, nennt man hier stolz Street Art. Fotografen beeilen sich jeweils, die besonders kreativen Bilder festzuhalten, denn oft werden sie schon rasch vom nächsten Künstler übermalt. Viel Street Art gibt’s auch in der «AC/DC Lane», benannt nach der berühmten australischen Band.

«Acca Dacca» Lane: Let there be rock!

Melbourne Street Art

Wie immer auf unseren Reisen durfte auch das Kulinarische nicht zu kurz kommen. Also gingen wir ins Queen-Victoria-Building, in die riesige alte Markthalle. Aber am dortigen Food Festival hatte es so gedrängt viele Leute, dass wir hungrig wieder flüchteten. Nach einer Odyssee durch Fastfood-Chinatown landeten wir schliesslich beim Italiener, dessen Teigwaren mit Trüffelsauce fürs lange Suchen entschädigten. Das Frühstück am nächsten Morgen toppte dann aber alles: Im Higher Ground, einer umgenutzten «Power station», gab es Toastbrot mit frischer Avocado und Lemon salt; Rührei mit Auberginen-Curry und dazu einen feinen «Flat White». Und schliesslich ebenso fein am Donnerstagabend: Kambodschanisches Dinner im modernen Docklands-Quartier: Yummy!

Kangaroo Ground (Yarra Valley)

Für den Freitag hatten wir eine Wine-Tasting-Tour ins Yarra Valley gebucht. Wir wurden im Hotel vom Minibus abgeholt und besuchten im Laufe des Tages fünf verschiedene «Cellar doors». Da die Tour nicht ausgebucht war, waren wir nur vier Gäste: Chris und John aus Ohio waren für die «Mardi Gras» Parade nach Sydney gekommen und reisten nun noch ein wenig im Land umher. Und Bill, unser Fahrer, war früher im Rohstoff-Sektor tätig und hatte in diversen Minen dieser Welt gearbeitet. Zusammen hatten wir es ganz lustig, was natürlich auch an den nicht enden wollenden Weinproben lag. Jedenfalls mussten sich die beiden Amerikaner zwischen Chardonnay, Pinot noir und «Cab Sav» ständig unsere Witze über den amerikanischen Präsidenten anhören, obwohl sie ihn doch auch nicht gewählt hatten…

Lunch at Tokar Estate Winery, Yarra Valley (Aussicht toll, Wein weniger)

Den Freitagabend verbrachten wir dann noch am MOOMBA, einem Sommerfest mit Chilbi, Wasserskirennen und Feuerwerk, und am Samstagmorgen setzten wir uns – wie schon erwähnt – in den «Overland» Express und fuhren nach Adelaide.

GSR «Overland» Express in der Southern Cross Station, Melbourne

Outback (near «Back of Bourke»)

Fat Tuesday on a Saturday

Auch in unserer zweiten Woche in Sydney rissen wir keine Bäume aus, was teilweise auch am ständigen Regenwetter lag. Ein Highlight war die «Mardi Gras» Parade am Samstagabend. Mit rund 250’000 Zuschauern sozusagen die australische Variante der Street Parade, hat der «Mardi Gras» aber einen ganz anderen, politischen Hintergrund: Schwule & Lesben kämpften für ihre Anerkennung und Gleichstellung in der Gesellschaft. Sydney ist diesbezüglich eine sehr liberale Stadt und hat dementsprechend eine grosse LGBTIQ-Bewegung (Lesbian Gay Bi Trans Inter Queer – die letzten beiden Buchstaben waren für mich neu). Im Gegensatz zum Papst meinte es der liebe Gott aber gut mit den Schwulen, denn für die Parade stellte er am Samstagabend kurz den Regen ab.

Auch «Airbnb» hatte seinen Auftritt am Mardi Gras

Unser zweiter Höhepunkt war, dass wir am Montag unser China-Visum erhielten. Nachdem wir in der Woche zuvor mit einer unglaublichen Menge an Formularen und Belegen im Visa-Center vorstellig wurden, dürfen wir jetzt also tatsächlich ins Land der Mitte einreisen. Xièxie. Und müssen deshalb dringend ein wenig Chinesisch lernen: Wǒ shì Kèlǐsīdìān, wǒ shì ruìshìrén. Nǐ hǎo mȧ?

Und sonst: Im Stadtteil Redfern entdeckten wir eine grosse und moderne Boulder-Halle (hatte nachher drei Tage Muskelkater in den Unterarmen), im Parterre unseres Hauses benutzen wir regelmässig das Hallenbad und mit viel Speis & Trank sorgen wir dafür, dass wir trotz all dem Sport nicht an Gewicht verlieren. Apropos Trinken: Ich saufe mich ja tapfer durch die Produktpalette der lokalen Kleinbrauereien, aber bis jetzt ist das Resultat sehr enttäuschend. Mein vorläufiges Verdikt: Auch bezüglich Bier ist Australien der trockenste aller Kontinente.

Fahnenschwinger an der Mardi Gras Parade

Kunst am Woolloomooloo-Pier

Kunst am Woolloomooloo-Pier

Hyde Park mit 201 Elizabeth St, ANZ Tower, Spherion und Sydney Tower Eye

Young russians play the opera house

Mit Opern kann ich nichts anfangen. Ich meine den Inhalt, nicht die Verpackung, denn während mir die auf der Bühne dargebotene Kunstform gestohlen bleiben kann, finde ich jene der Hüllengestaltung durchaus sehr interessant. Und das Sydney Opera House ist zu recht eine Architektur-Ikone geworden, auch wenn der Bau am Ende rund 15 Mal mehr kostete als ursprünglich budgetiert. (Hat da grad jemand «Elphi» gesagt?)

Glücklicherweise werden im Opernhaus aber nicht nur Opern aufgeführt, sondern es finden auch Konzerte statt. Dies wiederum eine von mir hoch geschätze Kunst. Also ergriffen wir die Gelegenheit und buchten zwei Sitzplätze: «Young Russians – Prokofiev, Rachmaninoff & Shostakovich», gespielt vom Sydney Symphony Orchestra. Sehr gut klang das, und in den Pausen hatten wir genügend Zeit für einen Architektur-Rundgang.

Jørn Utzon selber, der dänische Architekt der Oper, hat sein Bauwerk übrigens nie im fertigen Zustand gesehen. Er hatte 1966 nach einem heftigen Streit mit der Bauherrschaft die Baustelle und das Land verlassen und war danach zeitlebens nie mehr nach Australien zurückgekehrt.

 

The Lizards of Oz

Als die ersten europäischen Siedler ein Exemplar eines australischen Schnabeltiers nach England schickten, dachten die Zoologen in London, jemand habe sich einen Scherz erlaubt und dieses Ding aus verschiedenen Tierkadavern zusammengenäht. Tatsächlich gehört der Platypus als eierlegendes Säugetier mit «Plastikschnabel» eher zu den exotischen Viechern, aber er existiert! Wir haben zwei lebende Exemplare gesehen, ehrlich.

Die australische Tierwelt ist ja bekannt für ihre sonderbaren Exemplare, also mussten wir die natürlich sehen. Und weil wir auf unserer Reise nicht ganz Australien besuchen, fuhren wir eben in den Taronga Zoo. Dort waren sie alle versammelt: Känguruh, Koala, tasmanischer Tiger, Stacheltier, Leguan, Komodo-Waran und eben auch das Schnabeltier.

A fair go between coathanger and toaster

Sydney gehen wir sehr ruhig an. Nach einer vollgepackten Patagonien-Reise darf’s jetzt erstmals wieder etwas gemütlicher sein, und zum Glück haben wir genau die richtige Stadt dafür ausgewählt. Nach einer Woche haben wir uns schon bestens eingelebt. Was eigentlich ein wenig erschreckend ist: Da reist man auf die andere Seite des Globus und alles funktioniert wie zuhause. Wohnen, einkaufen, bezahlen, ÖV und so weiter. Es ist, als wären wir schon immer hier gewesen.

Natürlich waren wir diese erste Woche nicht ganz untätig: Die obligaten touristischen Highlights haben wir abgeklappert, im CBD waren wir shoppen und die Jogging-Strecke ist eingeweiht (durch Hyde Park und Botanical Garden zum Mrs Macquaries Point und wieder zurück). Carmen hat ein Yoga-Studio gefunden, ich eine Kunstgalerie mit «Life drawing» Klasse und gemeinsam quälen wir uns durch den Chinesisch-Crash-Kurs, damit wir dann in ein paar Wochen nicht nur Bahnhof verstehen. Nach einem Monat Restaurant-Essen steht uns momentan der Sinn nach selber kochen, was wir dank «Woolworths» und unserer gut eingerichteten Küche problemlos hinkriegen.

Und gerade weil hier die Dinge so ähnlich ablaufen wie zuhause, wird uns nochmals bewusst, was alles in Buenos Aires anders (oder bloss komplizierter) war. Unweigerlich beginnt man zu vergleichen: Buenos Aires protzt mit seinen Bauten aus der Jahrhundertwende, Sydney trumpft mit viel Platz und Grünflächen; Buenos Aires hat den Tango, Sydney das Opernhaus; La Boca versus The Rocks; San Telmo oder Bondi Beach; Palermo oder Surry Hills, und so weiter. Aber darum geht’s ja gar nicht, beide Städte haben ihre Licht- und Schattenseiten. Erstaunlich ist, wie unterschiedlich sich diese Orte entwickelt haben, obwohl sie eigentlich eine ganz ähnliche Geschichte teilen: Sowohl Sydney als auch Buenos Aires sind Millionenstädte, Hafenstädte, reiche Handelsstädte, grösste Stadt ihres Landes. Beide Länder sind riesig, reich an Rohstoffen, ehemalige Kolonien. Beide haben damals die indigene Population verdrängt, sich später vom Mutterland gelöst und sind zu Industrienationen aufgestiegen.

Wie lassen sich nun die Unterschiede erklären? Politik, Misswirtschaft und Korruption? Strafkolonien, Rum und angelsächsischer Imperialismus? Einfache Antworten gibt’s keine. Aber die Suche nach Indizien, die Hinweise darauf geben, weshalb sich die Geschichte in die eine oder andere Richtung gewendet hat, das ist es (unter anderem), was das Reisen so interessant macht.

Sleepless in Sydney

Wir wurden in die Moderne katapultiert, noch bevor der Vogel abgehoben hatte. Nicht, dass es uns in Buenos Aires oder Patagonien an irgendetwas gefehlt hätte, aber dieser «Dreamliner» von Air New Zealand war so hypermodern, dass wir Lateinamerika gleich an der Türschwelle hinter uns liessen. Kaum am Sitzplatz, kamen wir nicht mehr aus dem Schwärmen raus: farbige LED-Beleuchtung, bequeme Sitze, viel Platz, grosse Fenster, Unterhaltungssystem mit Touchscreen und zoombarer Weltkarte, leise Motoren, feines Essen. Und die haben sich wirklich mal überlegt, wie man diese unsäglich langweiligen Sicherheitsinstruktionen etwas aufpeppen könnte. Resultat: «Safety videos» als Hollywood-Kurzfilme im Stil von «The Hobbit» oder «Men in Black».

Jedenfalls brachte uns Air New Zealand sicher über die Datumsgrenze nach Auckland (wo Carmen morgens um fünf gleich den «Icebreaker» Store leerkaufte) und weiter nach Sydney. Die ersten Tage betrachteten wir unsere neue Umgebung noch durch die verschwommene Brille des Jetlag, immerhin galt es, 10 Stunden Zeitverschiebung zu bewältigen.

Aber Sydney, soviel konnten wir schon feststellen, liegt eigentlich in England. Die Leute, die Häuser, die Infrastruktur, das Wetter (am Samstag regnete es): Diese Stadt könnte sehr gut irgendwo an der Südostküste der britischen Insel liegen. Es gibt hier eine «Regent Street», eine «Sussex Street» und wir wohnen an der «Elizabeth Street». Bloss findet man daneben auch eigentümliche Ortsbezeichnungen wie z.B. «Woolloomooloo», «Barangaroo», «Wolli Creek» oder «Yagoona», also scheinen hier doch noch andere Einflüsse zu wirken. Zudem sprechen die Leute ein zwar wohlklingendes, aber völlig unverständliches Englisch.

Alles weitere gilt es jetzt zu entdecken, Berichte folgen.

Hooroo mates, see ya!