Reisetagebuch von Christian Kaiser

Autor: Christian (Seite 3 von 12)

Reisender Computerfreak und neuerdings Blogger.

秦始皇帝陵博物院 – Kaiser Qings Privatarmee

Es sei schade, klagte unsere Reiseleiterin, dass viele Touristen nur für das Mausoleum von Kaiser Qinshihuang nach Xi’an kämen, dabei habe die ehemalige Kaiserstadt doch noch so viele weitere Sehenswürdigkeiten. Da hatte sie sicher recht, doch auch wir waren wegen nichts anderem hierher gekommen, als wegen der weltbekannten Terrakotta-Armee.

Zusammen mit einer Unzahl anderer Touristen besichtigten wir die drei Grabfelder und hörten interessiert den Ausführungen unserer Reiseleiterin zu. Leider hatte es so viele Leute und die Figuren standen so weit entfernt, dass wir die Mimiken und Details der einzelnen Figuren erst abends im Hotelzimmer begutachten konnten. Zum Glück hatten wir unsere Teleobjektive mit dabei gehabt.

Der Schwiegervater unserer Reiseleiterin stammt aus dem Dorf 临潼区 (Lintong) und war 1974 mit dabei, als eine Gruppe von Bauern beim Graben eines Wasserlochs plötzlich auf den Kopf eines Terrakotta-Soldaten stiessen. Der Rest ist Geschichte: Lintong wurde zum Mekka aller chinesischen und westlichen Archäologen und das kleine Bauerndorf ist heute eine mittelgrosse Touristenstadt und wird schon bald an die U-Bahn von Xi’an angeschlossen.

Natürlich besichtigten wir neben den «Originalen» auch noch eine Töpferei, wo Kopien in allen Grössen angefertigt und verkauft werden. Falls also jemand einen lebensgrossen Terrakotta-Krieger mit seinem eigenen Gesicht kaufen möchte, um damit seinen Garten zu verschönern, dem gebe ich gerne die Adresse weiter. Schliesslich haben auch wir einen Krieger gekauft, aber nur das reisekoffertaugliche 20cm-Modell…

一个国家爆炸 – Ein Land explodiert

China ist riesig und das Land eine einzige Grossbaustelle. Dies wurde uns in den letzten Tagen schonungslos vor Augen geführt, bei jeder Fahrt, die wir durch das Land machten. Inzwischen sind wir in 宜昌 (Yichang) angelangt, die Reise führte uns mit Zug, Flugzeug und Auto hierher.

Monumental: Beijings Westbahnhof

Am Freitag waren wir mit dem Hochgeschwindigkeitszug von Beijing nach Xi’an gefahren, die 1’200km hatten wir in 6 Stunden zurückgelegt. Unser Zug fuhr mit 300km/h und hielt in diversen Städten, von denen wir noch nie gehört hatten. Sechs davon hatten mehr als eine Million Einwohner, Zhengzhou sogar mehr als 6.4 Millionen. Dementsprechend hielten wir an Bahnhöfen mit bis zu 30 Gleisen und modernsten Bahnhofsgebäuden aus Glas und Beton. Die vielen anderen Züge, die wir sahen, waren ebenfalls Hochgeschwindigkeitszüge.

中国铁路高速 oder CRH (China Railway High-speed)

Wir fuhren an ganzen Wäldern von Hochhäusern (mit 30 Stockwerken und mehr) vorbei und an Baustellen, wo solche gleich im Dutzend neu hochgezogen wurden. Oft sahen wir grosse Parzellen in Dreck und Schutt, wo zwischen Baggern und Abrissbirnen noch Reste von gerade zerstörten Dorfhäusern zu erkennen waren. Noch ein Quartier, dass wohl einer Hochhaus-Siedlung Platz machen musste.

Hochhäuser so weit das Auge reicht, und eines schöner als das andere

Mit dem Zug durchquerten wir die Provinzen Hebei, Henan und Shaanxi, alles mausarme Provinzen, die den Firmen grosse Zugeständnisse gemacht hatten, um Arbeitgeber anzulocken. Mit dem Resultat, das hier die dreckigsten Industrien Chinas stehen und die Umwelt enorm belastet ist. Da auch die Energie vorwiegend aus Kohlekraftwerken kommt, lag dichter Smog über dem Land: Der Himmel war von einer milchig gleissenden Masse bedeckt und die Fernsicht war so bescheiden, dass schon die etwas weiter von der Bahnlinie entfernten Hochhäuser im Dunst verschwanden.

«Scotty, gimme that power!»

Zwei Tage später, im Flugzeug von Xi’an nach Wuhan, sahen wir auf eine grosse grüne Ebene hinunter, die noch vorwiegend von kleinen Dörfern besiedelt und von schmalen Wegen durchzogen ist. Doch mitten in der Ebene zieht sich die Schneise einer sich im Bau befindlichen, riesigen, sicher 10-spurigen Schnellstrasse. Noch ist sie nicht durchgehend, doch genau zwischen zwei fertigen Teilstücken liegt ein Dorf. Man konnte sehen, dass keine Umfahrung eingeplant ist. Chinas zielstrebiger Aufstieg in die Moderne hat eben ihren Preis und produziert auch viele Verlierer…

Im Landeanflug sahen wir dann ein riesiges Flughafenterminal, doch an den Fingerdocks standen keine Flugzeuge. Wie wir später erfuhren, ist es ganz neu und wurde noch nicht in Betrieb genommen. Es ist etwa zehnmal grösser als das alte Terminal und wird in den nächsten Jahren sicher noch nicht ausgelastet sein. Aber Wuhan bereitet sich auf die Zukunft vor. Die Stadt hat heute schon 9 Millionen Einwohner, das ist mehr als Paris oder New York, und die steigenden Mobilitätsbedürfnisse wollen befriedigt werden.

架构:复制或导入 – Architektur: kopiert oder importiert

Nach unserem Ausflug auf die Chinesische Mauer tauchten wir am Donnerstag noch einmal in die Megacity Beijing ein. Am Morgen fuhren wir zur U-Bahn-Station 金台夕照 (Jintaixizhao), weil wir das CCTV-Hauptquartier sehen und fotografieren wollten, doch das Gebäude war weitherum durch hohe Zäune abgesperrt und die Gegend war lärmig, schmutzig und fussgängerunfreundlich. Also flüchteten wir schon bald in die 王府井 (Wangfujing Street), Beijings grosse Einkaufsstrasse. Wie immer in fremden Städten musste ich rasch in den Apple Store, auch wenn sie natürlich überall gleich aussehen. Einziger Unterschied: In China haben die Geräte keinen Internetzugang. (Google und Facebook sind sowieso nicht erreichbar.)

«Smile, you’re on CCTV» – Der imposante Hauptsitz von «China Central Television» (bzw. hinter vorgehaltener Hand: «China Communist Television»)

Das neue und das alte China sind auch in der Werbung gleich nebeneinander

Weil es inzwischen sommerlich heiss geworden war (30 Grad im Mai ist auch für Beijing ungewöhnlich warm), fuhren wir in den Park beim Himmelstempel, hier war es angenehm ruhig und schattig. Hunger und Stadtplan trieben uns dann in die 前门 (Quianmen Street), gemäss Reiseführer eine alte Geschäftsstrasse, wo man noch das China der Zwanziger und Dreissiger Jahre vorfinden könne. Sogar die einzige Tramlinie verkehre hier noch. Das ganze entpuppte sich dann aber als ziemliche Touristenfalle, denn das Areal ist ein kompletter Neubau, einfach auf alt gemacht. Die Geschäfte verkaufen alle die selben billigen Souvenirs oder Esswaren, und die Strasse hat etwa den Charme von Neu-Oerlikon.

Qianmen: Chinesische Postkartenidylle mit Häaggen Dazs, KFC und Starbucks

Dann doch lieber wieder neue Architektur, die nicht vorgibt, etwas altes zu kopieren! Also raus zum Olympic Park, zu Wasserwürfel und Vogelnest. Hier trafen wir wieder auf den mittlerweile gewohnten chinesischen Gigantismus: Für die Olympischen Spiele von 2008 hatte China alle Register gezogen: Es waren die teuersten Spiele und Beijing hatte sich für dieses Ereignis aufs extremste modernisiert und herausgeputzt. Mitten durch Beijing führt die «kaiserliche Linie», jene Nord-Südachse, an der sich die Stadtplanung seit Jahrhunderten ausrichtet, und auf der alle wichtigen Gebäude liegen, so auch die Paläste der Verbotenen Stadt. Für die Olympiade war die Achse nach Norden verlängert worden, denn auch der olympische Park sollte exakt auf dieser angelegt werden. Links der breiten Allee kam das Nationale Wassersport-Zentrum (der «Water Cube») zu stehen, rechts davon das Nationalstadion, besser bekannt als «Vogelnest». Letzteres war das ikonische Erkennungsmerkmal der Olympiade und ist es heute von Beijing schlechthin. Und: «Wer hat’s erfunden? Hä?» Klar, die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.

Der olympische «Water Cube» ist heute das chinesische Alpamare (das weltgrösste, selbstverständlich)

Im «Vogelnest» fühlen sich viele verschiedene Tierchen wie zuhause…

Beteiligt war auch der Chinesische Künstler Ai Weiwei, welcher sich bei der Partei mit der kritischen Aussage unbeliebt gemacht hatte, dass sämtliche schönen Gebäude Chinas von ausländischen Architekten entworfen würden, weil das Volk selber aufgrund des politischen Systems dazu nicht in der Lage sei. Im (völlig überdimensionierten) Olymic Park aber plärrt auch heute noch die offizielle Olympia-Musik aus den Lautsprechern, man will das Bild der erfolgreichen Nation so lange wie möglich aufrecht erhalten. Schliesslich hatte China 2008 die meisten Medaillen gewonnen.

蒙古人更早天, 今 游客 – Früher gegen Mongolen, heute für Touristen

Am Mittwoch stand wieder einmal eine Trekking-Tour auf dem Programm, und zwar hatten wir eine ganz bestimmte Strecke im Sinn: Wir wollten in der Provinz Hebei von 古北口 (Gubeikou) nach 金山岭 (Jinshanling) wandern. Warum gerade dort, 130km von Beijing entfernt? Klar, natürlich wollten wir auf die Chinesische Mauer. Frühmorgens ging es los, mit Fahrer und Reiseleiterin. Kaum waren wir beim Startpunkt ausgestiegen, fragte diese uns mehrmals, ob wir noch «Harmonie» bräuchten, bis wir begriffen: Es war die letzte Chance für eine WC-Pause…

Nach einem kurzen Aufstieg auf die Hügelkrete erreichten wir die Mauer. Zuerst war da ausser ein paar Steinen nicht viel zu sehen, doch hundert Meter weiter stand die Ruine eines Turms. Je weiter wir kamen, desto mehr war von der Mauer erhalten, auch wenn sie hier noch in einem sehr urtümlichen Zustand ist. Laura erklärte uns dann, dass wir gerade noch Glück gehabt hätten: Drei Tage später würde dieser Mauer-Abschnitt wegen Restauration gesperrt werden. Umso mehr genossen wir dieses imposante Bauwerk im aktuellen Zustand, sowie die malerische Umgebung und die prächtige Aussicht. Auf und ab ging’s über die Krete, immer wieder stieg die Mauer zu einer Hügelspitze hoch, wo sie dann in einen Turm mündete, nur um gleich dahinter wieder steil abzufallen. Bis zum Horizont konnten wir das Zickzack der Mauer und die vielen Türme ausmachen. Unvorstellbar, wie dieses Bauwerk damals entstanden sein muss, wie die Bauleute all diese Steine auf die Hügel hinaufgeschleppt haben müssen. Gemäss Laura seien damals um die 200’000 Arbeiter beim Bau zu Tode gekommen…

Unterwegs trafen wir noch eine andere Reisegruppe, die – wie konnte es anders sein – auch aus der Schweiz kam. Wir wanderten ein Stück weit gemeinsam weiter und machten dann auf einem kleinen Bauernhof einen Zwischenhalt (es gab kalten Grüntee und «Harmonie»-Möglichkeit).

Schliesslich näherten wir uns dem Ende unserer Tour, inzwischen waren wir auf einem restaurierten Stück der Mauer angekommen und bei Jinshanling verliessen wir sie dann. Hier haben die Chinesen das ganze Dorf in eine einzige Touristenmeile umfunktioniert, von der Mauer bis zum Parkplatz runter ist die Strasse gesäumt von Souvenirläden, Take-away-Ständen und Fast-food-Restaurants. Die Stimmung war aber etwas seltsam, denn ausser uns sechs Wanderern hatte es keine weiteren Touristen. Da es näher bei Beijing zwei andere Teilstücke der Mauer gibt, die sowohl besser erhalten als auch schneller erreichbar sind, kommen nur wenige Leute hierher.

Gegen 14:30 gingen wir in ein traditionelles Restaurant auf ein spätes und feines Mittagessen in einem «Landgasthof». Ja, ich schreibe schon wieder vom Essen, aber in China ist dieses Thema einfach nicht wegzudenken. Genauso wenig wie dann der Stau auf der Rückfahrt nach Beijing: Wegen einer Polizeikontrolle steckten wir über eine Stunde fest und konnten in Ruhe das chinesische Gedrängel beobachten: Zweispurige Autobahn, doch die Autos fahren in drei oder vier Reihen, drängeln auf dem Pannenstreifen nach vorne oder hupen sich ihren Weg frei. Es wird abgedrängt und ausgebremst, doch niemand scheint sich ernstlich aufzuregen. Dieses Verhalten steht wohl sinnbildlich für das Leben in China: Jeder will möglichst schnell vorwärts kommen, sucht sich den besten Weg, nutzt ohne zu zögern Schwächen der anderen aus, blickt weder seitwärts noch zurück. Für uns ungewohnt, aber hier wohl Alltag…

中间垤在 – Im Ameisenhaufen der Mitte

Montag: gross, grösser, am Grössten

In Beijing ist alles riesig. Der Flughafen ist elend gross (der zweitgrösste der Welt), die Hauptstrassen sind extrem breit und der Verkehr ist immens. Schon im Taxi zum Hotel lernten wir, dass hier auf den Strassen schonungslos das Recht des Stärkeren angewendet wird. Dies galt auch für die engen Gassen im Hutong, wo unser Hotel lag, nur waren es hier nicht Autos, sondern Velos und Elektro-Roller, die einem aus beiden Richtungen hupend um die Ohren flitzten. Unser Hotel war eine kleine Oase inmitten von diesem Gewusel und Lärm. Die Anlage liegt mitten im 南锣鼓巷 (Nan·luo·gu·xiang) Hutong, also in einer der wenigen verbliebenen Altstadtsiedlungen, wo noch die traditionellen einstöckigen Hofhäuser stehen.

Auch unser erstes Restaurant war gross, zwar nicht zur Strasse hin, aber nach hinten erstreckte es sich auch wieder über einen ganzen Hinterhof und bot Platz für Hunderte von Personen. Auf der Speisekarte waren tatsächlich Hühnerfüsse, Kaninchenköpfe, grillierte Frösche und andere Grässlichkeiten zu finden, doch glücklicherweise servierte man auch scharfes Poulet, Gemüse und Rindfleisch. Super fein und höllisch scharf! Beim Verlassen des Restaurants stellten wir fest, dass draussen Leute rumstanden und auf Einlass warteten: Es ist hier tatsächlich üblich, dass man – wie in der Schweiz auf der Post – ein Nümmerli zieht und dann aufgerufen wird, sobald wieder ein Tisch frei geworden ist.

Chinesisch, mit viel Scharf!

Dienstag: Widerstand ist zwecklos

Am Dienstag nahmen wir uns die Verbotene Stadt vor. Da uns die U-Bahn-Verbindung eher umständlich schien (zweimal umsteigen auf 5 Stationen), stiegen wir wieder in ein Taxi. Schliesslich waren wir am Vortag für 20 RMB (ca. 3 Franken) zum Hotel gefahren worden. Nun ist aber auch das Verkehrschaos in Beijing gigantisch, speziell in der Innenstadt. Nach knapp einer halben Stunde Taxifahrt waren wir erst etwa 500m weit gekommen und der Zähler stand schon bei 30 RMB. Zu Fuss gehen wäre schneller und günstiger gewesen. Wir begannen schon zu beraten, ob wir das Taxi einfach stoppen und aussteigen sollten, da lichtete sich der Stau und wir kamen doch noch ans Ziel.

Vorwärts, Marsch, Besichtigen!

Das heisst, fast, denn schon an der Ecke zum Tian’anmen-Platz blieben wir in einer Menschenmenge stecken. Diese bewegte sich langsam in die gewünschte Richtung und schliesslich merkten wir, dass wir hier für einen ersten «Security Check» anstanden. Kaum an diesem vorbei, krochen wir mit der Menge in Richtung Eingang. Vorab hatten wir noch versucht, die Tickets übers Internet zu kaufen, doch da die Seite ausschliesslich in Mandarin gehalten war und auch die Übersetzungsmaschine nicht weiterhelfen konnte, hatten wir das Unterfangen aufgeben müssen. Stattdessen standen wir nun am Ticketschalter an und hofften auf kurze Wartezeiten. Aber auch mit Ticket ging das Anstehen weiter, denn als nächstes holten wir uns noch einen Audioguide und mussten noch durch eine zweite Sicherheitskontrolle. Wie alle andern liessen wir das stoisch über uns ergehen, denn: «Resistance is futile», das sagten schon die Vogonen und die waren auch etwa so freundlich wie hier die Sicherheitsleute und Angestellten.

Die Halle der höchsten Harmonie

Zum Glück hatten wir einen Tag erwischt, an dem es nicht so viele Besucher hatte, aber «viel» ist ja ein relativer Begriff, denn die Verbotene Stadt wird im Jahr von ca. 16 bis 20 Millionen Personen besucht. Damit die Leute sich nicht ständig gegenseitig auf den Füssen stehen, wird die Menge an täglich verkauften Tickets auf 80’000 begrenzt. Trotzdem hatten wir auch im Kaiserpalast drin ständig das Gefühl, als befänden wir uns in einem Ameisenhaufen: Zusammen mit allen anderen Touristen krabbelten wir durch Tore, über Höfe, schauten in Gebäude hinein, und die Mauern und Paläste wollten kein Ende nehmen. Nach drei Stunden hatten wir dann aber langsam genug von all den Superlativen: Wir schlichen uns wieder auf die Strasse raus, kauften ein Glacé und spazierten am Wassergraben entlang nach Süden.

Der Tempel des unermüdlichen Souvenirjägers

Als nächstes schauten wir uns die überdimensionierte silberne Kaffeebohne an, bzw. das National Centre for the Performing Arts oder im Volksmund: Staatsoper. Auch dieses Gebäude ist vor allem darauf ausgelegt, mit Superlativen aufzutrumpfen. So soll es beispielsweise den Konzertsaal mit dem weltweit längsten Echo haben (1.6 Sek.). Es hatte mit Sicherheit auch den weltweit schlechtesten Kaffee, aber darauf wurden die Besucher nicht extra hingewiesen.

Prahlerische Staatsoper (NCPA)

Danach wollten wir auf den nahen Tian’anmen-Platz, doch die ersten beiden Zugangsstrassen wurden durch Polizeiposten abgeriegelt. Erst nach einem grösseren Umweg erreichten wir endlich den Platz, der ja – Vorsicht, Superlativ – der grösste Platz der Welt sein soll. Mit dem klotzigen Mausoleum mittendrin wirkte er dennoch etwas verstellt. (Die Russen haben den Lenin wenigstens an den Rand des Roten Platzes gestellt.)

Auf dem Tian’anmen-Platz (Platz am Tor des Himmlischen Friedens)

Weil uns nun schon länger die Sonne in den Nacken brannte, flüchteten wir uns ins nahe Eisenbahnmuseum, um uns dort etwas abzukühlen und ein paar Eisenbahnen anzuschauen. Doch die Chinesen schafften es doch tatsächlich, auf drei Stockwerken Fotos, Informationen und Landschaftsmodelle zu zeigen, ohne aber auch nur eine einzige richtige Lok oder wenigstens eine Modelleisenbahn auszustellen!

Ein gigantisches Stadtmodell

Schliesslich besuchten wir noch die Beijing Planning Exhibition Hall, hier gab’s mal wieder ein Stadtmodell sowie einen Film über Beijings Zukunft zu sehen: In den nächsten Jahren will die Regierung rund um Beijing herum elf neue Satellitenstädte bauen und dann einen Teil der Stadtbevölkerung dorthin aussiedeln, um so die Innenstadt zu entlasten und damit wieder lebenswerter zu machen. Zusätzlich sollen zwei neue Tangentialstrassen den bereits kollabierten Verkehr wieder zum Fliessen bringen. Der Film tönt wie das Werbevideo einer Immobilienfirma und man möchte sich ob den vollmundigen Ankündigungen schon fast ein wenig lustig machen, doch weil man sieht, in welchem Tempo und mit welcher Konsequenz sich China entwickelt, bleibt einem das spöttische Lächeln im Hals stecken.

생일 축하 해요, 부처님 – Happy birthday, Buddha

Am 3. Mai hatte Buddha Geburtstag. Jedenfalls dieses Jahr, denn seine Anhänger richten sich nach dem Mondkalender. Die Koreaner (zu je rund 30% Buddhisten, Christen oder konfessionslos) feierten das mit dem Lotus-Laternenfestival. Schon zwei, drei Wochen vorher hatten sie begonnen, bei den Tempeln bunte Lampions aufzuhängen und kurz darauf wurden dann in der ganzen Stadt die Strassen bunt behängt. Am Wochenende vom 28./29. April fand das grosse Geburtstagsfest statt, mit einem Umzug auf der Jung-gu am Samstagabend und einem Strassenfest am Sonntag. Und natürlich wurde in allen Tempeln gefeiert, speziell im Jogye-sa.

Die Glockenstrasse (deutsch für Jung-gu) ist die 12-spurige Hauptstrasse durch Seoul. Normalerweise ist es für Fussgänger fast unmöglich, sie zu überqueren, doch für den grossen Umzug war sie für den Verkehr gesperrt worden. Am Rand der Strasse waren in abgesperrten Bereichen Plastikstühle aufgereiht worden. Wir erkundigten uns naiv, wieviel denn der Eintritt kosten würde, und staunten, als die freiwilligen Helfer uns beschieden, dass die Plätze gratis seien. Also setzten wir uns und erhielten gleich einen Lampion. Die ältere Dame, die uns die Kerze anzündete, konnte kein Englisch, doch ein anderer Gast übersetzte ihren Wortschwall: Die Plätze, auf die wir uns gesetzt hätten, seien nicht gut genug für uns Touristen, meinte sie; wir sollten doch auf der nahen Tribüne Platz nehmen. Wow, welche Gastfreundschaft! Wir lehnten aber dankend ab und genossen den Umzug von den «billigen Plätzen» aus. Während mehr als zwei Stunden zogen dann die verschiedenen Gruppen vorbei, jede mit ihren grossen Laternen und einige mit Musikanten oder Tanzgruppe, ganz Seoul schien an diesem Umzug teilzunehmen. Schön war das!

Am Sonntag schauten wir uns den Jogye-sa Tempel an, dessen Vorplatz vollständig von Lampions überdeckt war. Dieser eindrückliche und sinnliche Baldachin musste aus tausenden solchen Laternen bestanden haben! Am nahen Strassenfest interessierten uns vor allem die diversen Essstände. Am besten waren eindeutig die taiwanesischen Gemüse-Pfannkuchen, da mussten wir sogar ein zweites Mal am Stand vorbei.


Inzwischen ist dieser Monat in Seoul schon wieder vorüber. Zwar hatten wir schon vor ein paar Tagen begonnen, uns auf die bevorstehende China-Reise vorzubereiten, und wir freuten uns auch sehr auf die Weiterreise, doch fiel es uns so schwer wie noch nie zuvor, unsere Unterkunft zu verlassen. Wir hatten unser schönes «Hüsli» und die verwinkelten Gassen im Quartier wirklich lieb gewonnen. So kam in den letzten Tagen auf dem Heimweg jeweils schon ein wenig Wehmut auf, im Wissen darum, dass wir bald weiterziehen würden…

Seoul wird uns also in sehr guter Erinnerung bleiben. Nun sind wir auf dem Weg nach China, und was wir dort erleben werden, wird hier schon bald zu lesen sein.