Reisetagebuch von Christian Kaiser

Ruta Nacional Nº 40

Paso Roballos

Nach 60km Fahrt durch das einsame Valle Chacabuco öffnete sich die Landschaft und wir erreichten den Paso Roballos und damit die Grenze zu Argentinien. Die Ausreise aus Chile war einfach: Eine Computerabfrage, drei Stempel, man wünschte uns eine gute Reise und öffnete das Tor. Muy tranquilo, wir waren erst das zweite Auto an diesem Tag. Dann fuhren wir 11km durchs Niemandsland. Einmal schreckten wir einen Adler auf, ein andermal musste ich wegen einem Gürteltier voll auf die Bremse stehen (und gleich raus mit der Fotokamera, aber ohne Erfolg; Das kleine Ding hatte sich versteckt!). Die Einreise nach Argentinien war dann ein wenig bürokratischer, der junge Grenzwächter musste sich sichtlich konzentrieren, um in die richtigen Bücher die jeweils korrekten handschriftlichen Einträge zu machen. Und dazwischen musste er noch zweimal den Hund aus der Hütte verscheuchen. Doch schliesslich kriegten wir auch hier alle nötigen Stempel und durften weiterfahren. Egal auf welcher Seite, die Arbeit als Grenzwächter an diesem Übergang ist ein einsamer Job.

Bajo Caracoles

Als nächstes erwartete uns wiedermal eine Schotterpiste, wobei diese auf der argentinischen Seite viel breiter, dafür weniger präpariert war. Inzwischen waren die Berge einem weitläufigen Hügelland gewichen, mit sandigen Böden und gelben Grasbüscheln. An einem Teich fanden wir nebst Enten auch ein paar Flamingos, und auf der Strasse gab es ab und zu flüchtende Guanacos und so komische Rennvögel (Nandus oder so, keine Ahnung?). Nach einer Stunde erreichten wir Bajo Caracoles, wo wir ein kleines Vermögen für Benzin, Kaffee und Sandwich ausgaben (einzige Tankstelle im Umkreis von 300km = klassisches Angebotsmonopol). Wenigstens sprach der Typ an der Tankstelle wieder jenen Spanischdialekt, den wir in Buenos Aires gelernt hatten.

Ruta 40 – Para Principantes

Ab Bajo Caracoles fuhren wir auf der «Ruta Nacional Nº 40», jener Hauptstrasse, die quer durchs Land führt, von der bolivianischen Grenze im Norden bis zum Cabo Virgenes, dem südlichsten Punkt auf argentinischem Festland. Unser heutiges Teilstück war «bubi-einfach», es war alles asphaltiert, er herrschte praktisch kein Verkehr und meist ging es zwischen zwei Kurven 10 bis 25km geradeaus.

Estancia La Angostura

Trotzdem mussten wir dann mal abbiegen, weil irgendwo da in der weiten Pampas von Santa Cruz jene Estancia lag, wo wir die nächste Nacht verbringen würden. Sie lag ziemlich versteckt in einem Flusstal, bot eine komfortable und herzliche Unterkunft, und ein gutes Asado zum Znacht (ein ganzer Cordero war geschlachtet worden). Auf der Ranch hatte es Rinder, Schafe, Flamingos, Enten, Falken und die obligaten Hunde und Katzen. Alles ganz idyllisch, wäre da nicht der «Bus Aleman» gekommen: Ein Bus mit 35 Deutschen, die hier ebenfalls ihr Asado futterten und dann in Kojen im Bus-Anhänger übernachteten.

¡Viva la Corrupción!

In der Nacht auf Freitag hatte es ein wenig geregnet. Beim feinen Zmorge ergab sich ein längerer Schwatz mit unserer Dueña, die uns kurz die aktuelle Wetter- und Strassensituation erklärte, oder vielmehr die Auswirkungen der argentinischen Korruption. Nämlich gab es auf der RN40 eine Baustelle. Die beauftragte Baufirma hatte schon mal die alte Schotterstrasse entfernt und verlangte dann nochmals Geld für den Bau der Teerstrasse. Inzwischen hatte aber die Regierung gewechselt und der Chef der Baufirma war plötzlich in der «falschen» Partei. Jedenfalls wurde er der Korruption überführt und eingelocht, und die Baufirma hat auf der Strassenbaustelle alles stehen und liegen gelassen. Resultat: Auf der Ruta 40 fehlen 72km Strasse! Also ungefähr wie wenn die A1 zwischen Bern und Fribourg fehlen würde. Und weil es hier die ganze Nacht geregnet hatte, war unklar, ob die «Strasse» überhaupt passierbar war. Als Alternativen schlug uns die nette Dame eine Stadtbesichtigung von Gobernador Gregores oder eine Umfahrung via La Julia (+150km) vor.

Ruta 40 – Para avanzados

Aber wie wir halt so sind, wollten wir erst mal selber hinfahren und sehen. Die ersten Kilometer war alles gut, aber dann tauchten die ersten Baustellenschilder auf: «Peligro» und so. Zudem hatte es wieder zu regnen begonnen. Irgendwann war dann der Kies tatsächlich fertig und vor uns lag nur noch ein lehmiger Acker. Wir fuhren jetzt noch mit 30-40km/h, mit 4×4 und Differentialsperre und schlingerten dennoch einigermassen unkontrolliert quer über die breite Piste hin und her.

Embarrancado

Nach einer guten halben Stunde trafen wir auf ein chilenisches Paar, das mit seinem Kombi steckengeblieben war. Natürlich hielten wir an, und zusammen mit einem entgegenkommenden Lenker versuchen wir ihnen zu helfen, aber keines der Autos hatte ein Abschleppseil dabei. Schliesslich schoben wir das Auto von Hand frei und schafften es, die Karre zu drehen, denn die beiden wollten lieber wieder zurück (und damit die rund 250km Umweg in Kauf nehmen).

Barro y Lodo

Als Resultat dieser Aktion hatten wir nun zentimeterdicken Dreck an unseren Schuhen und sahen unser Auto erstmals von aussen: Zwischen Rädern und Kotflügeln war alles mit Lehm aufgefüllt und auch am Unterboden klebte eine dicke Schicht Matsch. Überhaupt war unser Auto jetzt braun-beige und nicht mehr silberfarben. Nachdem die Schuhe notdürftig geputzt waren, schlingerten wir weiter, froh, dass wir nur helfen mussten und nicht selber in dieser doofen Situation steckten. Eine gefühlte Ewigkeit später tauchte dann in der Ferne wie eine Fata Morgana ein Streifen asphaltierte Strasse auf und tatsächlich, wir hatten es geschafft. Was für ein Abenteuer!

Tres Lagos

Nach einer gemütlichen Stunde auf Asphalt erreichten wir in Tres Lagos die nächste Tankstelle. Die Tankwartin schaute ungläubig unser Auto an und fragte: «Vienen del norte, ruta 40?» und «No lo creo, que feo!». Ein paar australische Jungs kamen dann auch noch fragen, und als ich ihnen erklärte, dass dieser Acker mit ihrem gemieteten Camper-Minibus wohl nicht zu schaffen sei, meinten sie trocken: «that’s what we wanted to hear, thanks» und entschieden sich für den sicheren Umweg über La Julia. Wir gönnten uns erst einmal ein paar Empañadas und brausten danach in einer Stunde nach El Chaltén. Ganz gemütlich, auf geteerter Strasse, versteht sich.