Am Mittwoch stand wieder einmal eine Trekking-Tour auf dem Programm, und zwar hatten wir eine ganz bestimmte Strecke im Sinn: Wir wollten in der Provinz Hebei von 古北口 (Gubeikou) nach 金山岭 (Jinshanling) wandern. Warum gerade dort, 130km von Beijing entfernt? Klar, natürlich wollten wir auf die Chinesische Mauer. Frühmorgens ging es los, mit Fahrer und Reiseleiterin. Kaum waren wir beim Startpunkt ausgestiegen, fragte diese uns mehrmals, ob wir noch «Harmonie» bräuchten, bis wir begriffen: Es war die letzte Chance für eine WC-Pause…
Nach einem kurzen Aufstieg auf die Hügelkrete erreichten wir die Mauer. Zuerst war da ausser ein paar Steinen nicht viel zu sehen, doch hundert Meter weiter stand die Ruine eines Turms. Je weiter wir kamen, desto mehr war von der Mauer erhalten, auch wenn sie hier noch in einem sehr urtümlichen Zustand ist. Laura erklärte uns dann, dass wir gerade noch Glück gehabt hätten: Drei Tage später würde dieser Mauer-Abschnitt wegen Restauration gesperrt werden. Umso mehr genossen wir dieses imposante Bauwerk im aktuellen Zustand, sowie die malerische Umgebung und die prächtige Aussicht. Auf und ab ging’s über die Krete, immer wieder stieg die Mauer zu einer Hügelspitze hoch, wo sie dann in einen Turm mündete, nur um gleich dahinter wieder steil abzufallen. Bis zum Horizont konnten wir das Zickzack der Mauer und die vielen Türme ausmachen. Unvorstellbar, wie dieses Bauwerk damals entstanden sein muss, wie die Bauleute all diese Steine auf die Hügel hinaufgeschleppt haben müssen. Gemäss Laura seien damals um die 200’000 Arbeiter beim Bau zu Tode gekommen…
Unterwegs trafen wir noch eine andere Reisegruppe, die – wie konnte es anders sein – auch aus der Schweiz kam. Wir wanderten ein Stück weit gemeinsam weiter und machten dann auf einem kleinen Bauernhof einen Zwischenhalt (es gab kalten Grüntee und «Harmonie»-Möglichkeit).
Schliesslich näherten wir uns dem Ende unserer Tour, inzwischen waren wir auf einem restaurierten Stück der Mauer angekommen und bei Jinshanling verliessen wir sie dann. Hier haben die Chinesen das ganze Dorf in eine einzige Touristenmeile umfunktioniert, von der Mauer bis zum Parkplatz runter ist die Strasse gesäumt von Souvenirläden, Take-away-Ständen und Fast-food-Restaurants. Die Stimmung war aber etwas seltsam, denn ausser uns sechs Wanderern hatte es keine weiteren Touristen. Da es näher bei Beijing zwei andere Teilstücke der Mauer gibt, die sowohl besser erhalten als auch schneller erreichbar sind, kommen nur wenige Leute hierher.
Gegen 14:30 gingen wir in ein traditionelles Restaurant auf ein spätes und feines Mittagessen in einem «Landgasthof». Ja, ich schreibe schon wieder vom Essen, aber in China ist dieses Thema einfach nicht wegzudenken. Genauso wenig wie dann der Stau auf der Rückfahrt nach Beijing: Wegen einer Polizeikontrolle steckten wir über eine Stunde fest und konnten in Ruhe das chinesische Gedrängel beobachten: Zweispurige Autobahn, doch die Autos fahren in drei oder vier Reihen, drängeln auf dem Pannenstreifen nach vorne oder hupen sich ihren Weg frei. Es wird abgedrängt und ausgebremst, doch niemand scheint sich ernstlich aufzuregen. Dieses Verhalten steht wohl sinnbildlich für das Leben in China: Jeder will möglichst schnell vorwärts kommen, sucht sich den besten Weg, nutzt ohne zu zögern Schwächen der anderen aus, blickt weder seitwärts noch zurück. Für uns ungewohnt, aber hier wohl Alltag…