Reisetagebuch von Christian Kaiser

該死的河 – Der verdammte Fluss

In Yichang begann unsere Flusskreuzfahrt auf dem Jangtse. Die nächsten drei Tage würden wir auf Chinas grösstem Fluss rund 600km aufwärts fahren und dabei die berühmten Schluchten Xiling, Wu und Qutang durchqueren. Jene drei Schluchten, die dem grössten Ingenieurbauwerk Chinas den Namen gegeben hatten. Die Talsperre liegt nur wenige Kilometer flussaufwärts von Yichang und schon am Mittag hatte unser Schiff hier die Warteposition erreicht. Wir Passagiere gingen an Land, um die Staumauer und die umliegenden Anlagen zu besichtigen.

Der lokale Reiseleiter begrüsste uns mit einem routinierten: «I’m your dam guide», dann fuhren wir mit dem Bus zum Three-Gorges-Garden (früher der Standort einer Betonmischanlage), schauten die schönen Blumenbeete an, die alle paar Wochen neu bepflanzt würden, bestaunten die riesige Staumauer, der dieser Gegend so viel Gutes gebracht habe (und immer noch bringe), guckten Baumaschinen und Transistoren an, mit deren Verkauf die westlichen Firmen hier ein so gutes Geschäft mit den Chinesen gemacht hätten und so weiter. Kurzum: Es wurde uns eine schöne, heile Welt präsentiert.

Unser Tourguide macht den Job seit 19 Jahren, also seit er sein Heimatdorf verlassen musste. Auf der Karte zeigte er uns, wo es gelegen hatte, denn heute ist es überflutet, genauso wie die Felder, wo sein Vater bis zur Umsiedelung Orangen und Mandarinen angebaut hatte. Aber, erzählte er uns strahlend, die Dorfbewohner seien alle in eine neu gebaute Stadt bei der Talsperre umgesiedelt worden, hier hätten sie jetzt fliessendes Wasser in der Wohnung und «five star toilets». Der Staat habe sogar dafür gesorgt, dass die Leute gemeinsam umgesiedelt wurden und so immer noch in gleicher Nachbarschaft leben könnten. Das sei gerade für die Generation seiner Eltern sehr wichtig gewesen, sagte er. Sein Vater hätte jetzt übrigens einen kleinen Laden, wo er (guess what!) Orangen und Mandarinen verkaufe.

Der Guide kannte sich auch mit Zahlen aus: 700 Megawatt Leistung habe eine Turbine, 34 Stück davon bilden das Kraftwerk, welches bei Inbetriebnahme fast 10 Prozent des chinesischen Stromverbrauchs abgedeckt habe. Infolge des gestiegenen Verbrauchs seien es heute nur noch knapp 2 Prozent, aber China werde bis 2020 noch 20 weitere solche Dämme bauen und dann 30 Prozent des Strombedarfs mit Wasserkraft decken. Beim Bau habe es zudem weniger Tote gegeben als beim Bau des Hoover Dam, die Stromproduktion sei höher als beim Assuan-Staudamm, das Wasser falle tiefer als bei den Victoria Falls, die Mauer sei «dicker als», «breiter als» und so weiter. So langsam hatte ich von dieser Propaganda genug. Aber man sah, dass der Mann wirklich glaubte, was er uns erzählte. Logisch, er wiederholt es seit 19 Jahren täglich. 1.3 Millionen Umgesiedelte sind jetzt glückliche Menschen, weil sie vom Staat ein Five-Star-Klo bekommen haben… Aber vielleicht will er auch nichts anderes glauben, weil er die Wahrheit nicht ertragen könnte.

Auf dem Schiff hingegen sprach ein anderer Chinese relativ offen darüber, dass in Wirklichkeit wohl eher gegen 2 Millionen Menschen umgesiedelt worden waren, dass das mit dem Dammbau angestrebte Hauptziel (Schutz vor Überschwemmungen) nicht erreicht worden sei, und dass die Nebenwirkungen des Baus noch nicht absehbar seien. Man wisse aber schon heute, dass das immense Gewicht des neuen Stausees einen Einfluss auf die Plattentektonik habe und damit möglicherweise das verheerende Erdbeben in Sichuan ausgelöst haben könnte. Dieses ereignete sich nämlich 2008 kurz nachdem der Stausee erstmals vollständig aufgefüllt war, in einer Gegend, wo zuvor nur selten Erdbeben aufgetreten waren.

Lässt man die sozialen und politischen Aspekte beiseite, ist die Drei-Schluchten-Talsperre ein sehr imposantes Bauwerk. Von weitem sah es nur deshalb nicht ganz so spektakulär aus, weil man die Grösse von Talsperre und Schleusensystem noch gar nicht richtig einschätzen konnte. Erst als unser Schiff in die erste Schleuse einfuhr, sahen wir, wie gross das alles wirklich war. Jedes der fünf Becken ist 280m lang und der Wasserspiegel wird bei jeder Schleusenstufe um 22m angehoben. So überwanden wir in rund 3 Stunden 110m Höhe.

Beim Bau des «Three Gorges» waren damals rund 8’800 Millionen Kubikmeter Fels und Erde abgetragen worden, und für die Erstellung der Staumauer war der ganze Fluss kurzfristig umgeleitet worden. Die Erstellung der Drei-Schluchten-Talsperre war zweifellos eine ingenieurtechnische Meisterleistung und ein Mammut-Projekt. Wer, wenn nicht die Chinesen hätten so ein Riesen-Bauwerk erstellen können, schliesslich reicht ihre Erfahrung mit solchen Grossprojekten Jahrhunderte zurück (siehe Terrakotta-Armee und Chinesische Mauer)…

1 Kommentar

  1. Geoff sagt:

    As you say, an engineering masterpiece! I’d never thought about the pressure on plates being caused by building but it makes sense. Very much enjoying your writing, you’re clearly enjoying the trip!

Administrator

Reisender Computerfreak und neuerdings Blogger.