Reisetagebuch von Christian Kaiser

Kategorie: Beijing (Seite 1 von 1)

架构:复制或导入 – Architektur: kopiert oder importiert

Nach unserem Ausflug auf die Chinesische Mauer tauchten wir am Donnerstag noch einmal in die Megacity Beijing ein. Am Morgen fuhren wir zur U-Bahn-Station 金台夕照 (Jintaixizhao), weil wir das CCTV-Hauptquartier sehen und fotografieren wollten, doch das Gebäude war weitherum durch hohe Zäune abgesperrt und die Gegend war lärmig, schmutzig und fussgängerunfreundlich. Also flüchteten wir schon bald in die 王府井 (Wangfujing Street), Beijings grosse Einkaufsstrasse. Wie immer in fremden Städten musste ich rasch in den Apple Store, auch wenn sie natürlich überall gleich aussehen. Einziger Unterschied: In China haben die Geräte keinen Internetzugang. (Google und Facebook sind sowieso nicht erreichbar.)

«Smile, you’re on CCTV» – Der imposante Hauptsitz von «China Central Television» (bzw. hinter vorgehaltener Hand: «China Communist Television»)

Das neue und das alte China sind auch in der Werbung gleich nebeneinander

Weil es inzwischen sommerlich heiss geworden war (30 Grad im Mai ist auch für Beijing ungewöhnlich warm), fuhren wir in den Park beim Himmelstempel, hier war es angenehm ruhig und schattig. Hunger und Stadtplan trieben uns dann in die 前门 (Quianmen Street), gemäss Reiseführer eine alte Geschäftsstrasse, wo man noch das China der Zwanziger und Dreissiger Jahre vorfinden könne. Sogar die einzige Tramlinie verkehre hier noch. Das ganze entpuppte sich dann aber als ziemliche Touristenfalle, denn das Areal ist ein kompletter Neubau, einfach auf alt gemacht. Die Geschäfte verkaufen alle die selben billigen Souvenirs oder Esswaren, und die Strasse hat etwa den Charme von Neu-Oerlikon.

Qianmen: Chinesische Postkartenidylle mit Häaggen Dazs, KFC und Starbucks

Dann doch lieber wieder neue Architektur, die nicht vorgibt, etwas altes zu kopieren! Also raus zum Olympic Park, zu Wasserwürfel und Vogelnest. Hier trafen wir wieder auf den mittlerweile gewohnten chinesischen Gigantismus: Für die Olympischen Spiele von 2008 hatte China alle Register gezogen: Es waren die teuersten Spiele und Beijing hatte sich für dieses Ereignis aufs extremste modernisiert und herausgeputzt. Mitten durch Beijing führt die «kaiserliche Linie», jene Nord-Südachse, an der sich die Stadtplanung seit Jahrhunderten ausrichtet, und auf der alle wichtigen Gebäude liegen, so auch die Paläste der Verbotenen Stadt. Für die Olympiade war die Achse nach Norden verlängert worden, denn auch der olympische Park sollte exakt auf dieser angelegt werden. Links der breiten Allee kam das Nationale Wassersport-Zentrum (der «Water Cube») zu stehen, rechts davon das Nationalstadion, besser bekannt als «Vogelnest». Letzteres war das ikonische Erkennungsmerkmal der Olympiade und ist es heute von Beijing schlechthin. Und: «Wer hat’s erfunden? Hä?» Klar, die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.

Der olympische «Water Cube» ist heute das chinesische Alpamare (das weltgrösste, selbstverständlich)

Im «Vogelnest» fühlen sich viele verschiedene Tierchen wie zuhause…

Beteiligt war auch der Chinesische Künstler Ai Weiwei, welcher sich bei der Partei mit der kritischen Aussage unbeliebt gemacht hatte, dass sämtliche schönen Gebäude Chinas von ausländischen Architekten entworfen würden, weil das Volk selber aufgrund des politischen Systems dazu nicht in der Lage sei. Im (völlig überdimensionierten) Olymic Park aber plärrt auch heute noch die offizielle Olympia-Musik aus den Lautsprechern, man will das Bild der erfolgreichen Nation so lange wie möglich aufrecht erhalten. Schliesslich hatte China 2008 die meisten Medaillen gewonnen.

中间垤在 – Im Ameisenhaufen der Mitte

Montag: gross, grösser, am Grössten

In Beijing ist alles riesig. Der Flughafen ist elend gross (der zweitgrösste der Welt), die Hauptstrassen sind extrem breit und der Verkehr ist immens. Schon im Taxi zum Hotel lernten wir, dass hier auf den Strassen schonungslos das Recht des Stärkeren angewendet wird. Dies galt auch für die engen Gassen im Hutong, wo unser Hotel lag, nur waren es hier nicht Autos, sondern Velos und Elektro-Roller, die einem aus beiden Richtungen hupend um die Ohren flitzten. Unser Hotel war eine kleine Oase inmitten von diesem Gewusel und Lärm. Die Anlage liegt mitten im 南锣鼓巷 (Nan·luo·gu·xiang) Hutong, also in einer der wenigen verbliebenen Altstadtsiedlungen, wo noch die traditionellen einstöckigen Hofhäuser stehen.

Auch unser erstes Restaurant war gross, zwar nicht zur Strasse hin, aber nach hinten erstreckte es sich auch wieder über einen ganzen Hinterhof und bot Platz für Hunderte von Personen. Auf der Speisekarte waren tatsächlich Hühnerfüsse, Kaninchenköpfe, grillierte Frösche und andere Grässlichkeiten zu finden, doch glücklicherweise servierte man auch scharfes Poulet, Gemüse und Rindfleisch. Super fein und höllisch scharf! Beim Verlassen des Restaurants stellten wir fest, dass draussen Leute rumstanden und auf Einlass warteten: Es ist hier tatsächlich üblich, dass man – wie in der Schweiz auf der Post – ein Nümmerli zieht und dann aufgerufen wird, sobald wieder ein Tisch frei geworden ist.

Chinesisch, mit viel Scharf!

Dienstag: Widerstand ist zwecklos

Am Dienstag nahmen wir uns die Verbotene Stadt vor. Da uns die U-Bahn-Verbindung eher umständlich schien (zweimal umsteigen auf 5 Stationen), stiegen wir wieder in ein Taxi. Schliesslich waren wir am Vortag für 20 RMB (ca. 3 Franken) zum Hotel gefahren worden. Nun ist aber auch das Verkehrschaos in Beijing gigantisch, speziell in der Innenstadt. Nach knapp einer halben Stunde Taxifahrt waren wir erst etwa 500m weit gekommen und der Zähler stand schon bei 30 RMB. Zu Fuss gehen wäre schneller und günstiger gewesen. Wir begannen schon zu beraten, ob wir das Taxi einfach stoppen und aussteigen sollten, da lichtete sich der Stau und wir kamen doch noch ans Ziel.

Vorwärts, Marsch, Besichtigen!

Das heisst, fast, denn schon an der Ecke zum Tian’anmen-Platz blieben wir in einer Menschenmenge stecken. Diese bewegte sich langsam in die gewünschte Richtung und schliesslich merkten wir, dass wir hier für einen ersten «Security Check» anstanden. Kaum an diesem vorbei, krochen wir mit der Menge in Richtung Eingang. Vorab hatten wir noch versucht, die Tickets übers Internet zu kaufen, doch da die Seite ausschliesslich in Mandarin gehalten war und auch die Übersetzungsmaschine nicht weiterhelfen konnte, hatten wir das Unterfangen aufgeben müssen. Stattdessen standen wir nun am Ticketschalter an und hofften auf kurze Wartezeiten. Aber auch mit Ticket ging das Anstehen weiter, denn als nächstes holten wir uns noch einen Audioguide und mussten noch durch eine zweite Sicherheitskontrolle. Wie alle andern liessen wir das stoisch über uns ergehen, denn: «Resistance is futile», das sagten schon die Vogonen und die waren auch etwa so freundlich wie hier die Sicherheitsleute und Angestellten.

Die Halle der höchsten Harmonie

Zum Glück hatten wir einen Tag erwischt, an dem es nicht so viele Besucher hatte, aber «viel» ist ja ein relativer Begriff, denn die Verbotene Stadt wird im Jahr von ca. 16 bis 20 Millionen Personen besucht. Damit die Leute sich nicht ständig gegenseitig auf den Füssen stehen, wird die Menge an täglich verkauften Tickets auf 80’000 begrenzt. Trotzdem hatten wir auch im Kaiserpalast drin ständig das Gefühl, als befänden wir uns in einem Ameisenhaufen: Zusammen mit allen anderen Touristen krabbelten wir durch Tore, über Höfe, schauten in Gebäude hinein, und die Mauern und Paläste wollten kein Ende nehmen. Nach drei Stunden hatten wir dann aber langsam genug von all den Superlativen: Wir schlichen uns wieder auf die Strasse raus, kauften ein Glacé und spazierten am Wassergraben entlang nach Süden.

Der Tempel des unermüdlichen Souvenirjägers

Als nächstes schauten wir uns die überdimensionierte silberne Kaffeebohne an, bzw. das National Centre for the Performing Arts oder im Volksmund: Staatsoper. Auch dieses Gebäude ist vor allem darauf ausgelegt, mit Superlativen aufzutrumpfen. So soll es beispielsweise den Konzertsaal mit dem weltweit längsten Echo haben (1.6 Sek.). Es hatte mit Sicherheit auch den weltweit schlechtesten Kaffee, aber darauf wurden die Besucher nicht extra hingewiesen.

Prahlerische Staatsoper (NCPA)

Danach wollten wir auf den nahen Tian’anmen-Platz, doch die ersten beiden Zugangsstrassen wurden durch Polizeiposten abgeriegelt. Erst nach einem grösseren Umweg erreichten wir endlich den Platz, der ja – Vorsicht, Superlativ – der grösste Platz der Welt sein soll. Mit dem klotzigen Mausoleum mittendrin wirkte er dennoch etwas verstellt. (Die Russen haben den Lenin wenigstens an den Rand des Roten Platzes gestellt.)

Auf dem Tian’anmen-Platz (Platz am Tor des Himmlischen Friedens)

Weil uns nun schon länger die Sonne in den Nacken brannte, flüchteten wir uns ins nahe Eisenbahnmuseum, um uns dort etwas abzukühlen und ein paar Eisenbahnen anzuschauen. Doch die Chinesen schafften es doch tatsächlich, auf drei Stockwerken Fotos, Informationen und Landschaftsmodelle zu zeigen, ohne aber auch nur eine einzige richtige Lok oder wenigstens eine Modelleisenbahn auszustellen!

Ein gigantisches Stadtmodell

Schliesslich besuchten wir noch die Beijing Planning Exhibition Hall, hier gab’s mal wieder ein Stadtmodell sowie einen Film über Beijings Zukunft zu sehen: In den nächsten Jahren will die Regierung rund um Beijing herum elf neue Satellitenstädte bauen und dann einen Teil der Stadtbevölkerung dorthin aussiedeln, um so die Innenstadt zu entlasten und damit wieder lebenswerter zu machen. Zusätzlich sollen zwei neue Tangentialstrassen den bereits kollabierten Verkehr wieder zum Fliessen bringen. Der Film tönt wie das Werbevideo einer Immobilienfirma und man möchte sich ob den vollmundigen Ankündigungen schon fast ein wenig lustig machen, doch weil man sieht, in welchem Tempo und mit welcher Konsequenz sich China entwickelt, bleibt einem das spöttische Lächeln im Hals stecken.