Reisetagebuch von Christian Kaiser

Kategorie: Chile (Seite 1 von 2)

Campo del Hielo Sur

Gleich vorneweg: Was ich hier vor ein paar Tagen über hinterlistige Gletscher gemotzt hatte, das gilt nur für argentinische Gletscher. Die chilenischen Eiswände sind da viel zeigefreudiger. Aber der Reihe nach: 14. Februar, Puerto Natales, das Mietauto war abgegeben, Körper und Seele wieder in Form gebracht, es konnte also weitergehen. Und so verbrachten wir die nächsten drei Tage an Bord der M/N Skorpios III, um auf der Kaweskar-Route das südliche Eisfeld zu entdecken.

Wir gingen also auf eine Kreuzfahrt. Wobei ich gleich präzisieren muss: Wer jetzt an diese Riesenviecher mit 2’000 Kabinen, 12 Restaurants und Joggingstrecke auf Deck 9 denkt, der liegt falsch. Die «Skorpios» hat Platz für maximal 90 Passagiere, auf unserer Fahrt waren es 56. Ansonsten ist aber vieles den «richtigen» Ozeandampfern nachempfunden: Das Sonnendeck heisst auch hier so, es gibt ständig was zu Essen und alle Getränke sind inbegriffen (irgendwann hab ich die Pisco Sour’s nicht mehr gezählt…). Und ja, wir haben das Durchschnittsalter mächtig nach unten gezogen.

Beim ersten Abendessen zeigte die Vorstellungsrunde, dass die Passagiere zwar aus neun verschiedenen Staaten kamen, die meisten aber aus den USA. Wir teilten den (fest zugeteilten) Tisch mit je einem Paar aus England, Wisconsin und Australien/Neuseeland und hatten eindeutig die beste Tischrunde erwischt. Jedenfalls waren wir nach jedem Essen die letzten, die den «Comedor» verliessen, meist nachdem wichtige Themen wie US-Politik, Rugby oder Reisen mit viel britischem Humor abgehandelt worden waren.

In der ersten Nacht war das Schiff so weit nach Norden gefahren, dass wir nach dem Frühstück den riesigen Amalia-Gletscher erreichten. Hier wurden wir per Beiboot auf eine Landzunge vor dem Gletscher gefahren. Vor 15 Jahren wären wir hier noch an der Gletscherzunge gestanden, aber inzwischen hat sich diese rund 1.5km zurückgezogen, so dass wir noch einen kleinen Spaziergang vor uns hatten. Schon unterwegs hörten wir es ständig knallen und donnern: Die im Eis eingeschlossene Luft kommt unter der grossen Last immer mehr unter Druck und sucht sich dann einen Weg nach draussen. Zudem verzögerte sich unser Spaziergang etwas, weil uns eine kleine Herde Huemuls (Andenhirsche) «im Weg» stand: Diese seltenen und eigentlich scheuen Tiere liessen sich aber nicht gross von unserer Anwesenheit stören und bereicherten unsere Gletscherfotos mit einem zusätzlichen Sujet. Diese schossen wir von einem Beobachtungsfelsen, von welchem aus wir die ganze Frontwand der Amalia im Blickfeld hatten und auch die diversen Eis-Abbrüche beobachten konnten.

Als nächstes fuhr die «Skorpios» zum El Brujo-Gletscher. Auch hier brachte uns das Beiboot wieder näher heran, diesmal aber auf einen kleinen Felsen direkt vor der Wand. Und El Brujo liess sich nicht lumpen, da könnte sich der Perito Moreno ein Beispiel nehmen: ständig brach irgendwo Eis ab und donnerte ins Wasser hinunter. Ein riesengrosses Portal (sicher 50m hoch und 60m breit) brach innert einer halben Stunde völlig in sich zusammen, die grössten Abbrüche lösten gar eine so grosse Flutwelle aus, dass einzelne Beobachter sich eine höhere Stelle auf dem Felsen suchen mussten, um nicht nass zu werden. Wir kamen kaum aus dem Staunen raus und wollten gar nicht mehr zurück aufs Schiff.

Während dem Mittagessen zogen dann immer mehr Eisberge draussen vor dem Fenster vorbei und ab und zu rummste es durchs ganze Schiff, wenn die «Skorpios» mal wieder in einen reingefahren war. Irgendwann wurde es dann aber zuviel und das Schiff ging vor Anker. Aber die Schiffsgesellschaft hat hier draussen einen kleinen Eisbrecher stationiert, und so konnten wir noch ein paar Kilometer weiter in die Eiswüste vom Fiordo Calvo hineinfahren und die verschiedenen Gletscher (Fernando, Capitán Constantino, Alipio) aus der Nähe betrachten. Auch eine Kolonie «Lobos del Mar» und viele Kormorane bekamen wir zu Gesicht.

Am dritten Tag besuchten wir im Fiordo de las Montañas den Alina- und den Bernal-Gletscher, am Nachmittag folgte ein Ausflug mit dem Beiboot an der Angostura White. Hier nisteten Kormorane, Kondore und andere Vögel, zudem tanzten wieder einmal ein paar Delfine um unser Boot. Am Abend folgte standesgemäss das Captains Dinner mit Buffet und Tanz, und am nächsten Morgen mussten wir leider schon wieder von Bord.

El Frigorífico de Puerto Bories

Nach 2’750km Fahrt quer durch Patagonien endete unsere Autoreise in Puerto Natales, bei 51° 43′ 39″ südlicher Breite. Hier gaben wir mit einem «Lo siento, esta un poco sucio» unseren saumässig verdreckten, aber zuverlässigen Suzuki zurück. Eigentlich wäre Puerto Natales (knapp 20’000 Einwohner) ein schönes, lebendiges Städtchen, doch abgesehen vom Besuch in zwei feinen Restaurants und einer Lavaderia haben wir es links liegengelassen.

Grund dafür war unser super Hotel: Für den Abschluss unserer Patagonien-Reise (und auf Empfehlung von Paola, Danke Dir!) hatten wir uns einen hotelmässigen Höhepunkt ausgesucht: Das Hotel «The Singular» befindet sich in den ehemaligen Kühlhäusern der «Sociedad Explotadora de Tierra del Fuego». Diese Firma hatte hier im «Frigorífico Bories» zwischen 1915 und 1971 Millionen von patagonischen Schafen geschlachtet und deren Fleisch und Wolle nach Europa verschifft. Zeitweise war sie der grösste Arbeitgeber in Patagonien gewesen. Die Backsteingebäude waren im postviktorianischen englischen Stil erbaut worden, das meiste Baumaterial stammte aus Europa und war von den Schiffen als Ballast mitgebracht worden, bevor diese dann mit Fleisch und Wolle beladen wieder zurückfuhren. Seit 1996 stehen die Gebäude unter Denkmalschutz und vor ein paar Jahren wurde der Gebäudekomplex zum Luxushotel und Industriemuseum umfunktioniert. Dank den hohen Auflagen der Schutzbehörde wurde die Original-Einrichtung sowie all die Maschinen im Gebäude belassen, was dem Hotel ein einzigartiges Ambiente verlieh.

Hier also liessen wir es uns zwei Nächte lang gut gehen, um uns von den Wanderungen und vom vielen Wind im «Torres del Paine» Nationalpark zu erholen. Unser «Wellness-Paket» umfasste ein paar Cerveza Austral, ein Guanaco-Filet zum Znacht, eine Massage, eine gute Portion stabiles Internet und ein riesiges Hotelzimmer und -bett mit Ausblick auf den Fjord von Puerto Natales. Beste Voraussetzungen, um die Höhepunkte unserer Reise nochmals Revue passieren zu lassen: Die grossartige, karge Landschaft, unsere schönen Wanderungen, die vielen Tierbeobachtungen, die Bekanntschaft mit Leuten, die in dieser abgelegenen Gegend leben und immer noch ein Stück von hiesigen Pioniergeist versprühen.

Torres del Viento

Als ich vor Jahren mein letztes aktives Pfadiamt abgab, bekam ich zum Abschied ein Abo vom «Lonely Planet» Reisemagazin geschenkt. In einer dieser Ausgaben war ein grosser Bericht über den Torres del Paine Nationalpark, dessen Bilder sicher mitverantwortlich für die jetzige Reise waren. Im Text stand aber auch, dass es in Patagonien «immer winde». Ich verstand nicht, weshalb das extra betont wurde, schliesslich weht auch in der Schweiz öfters mal der Wind und wir finden das nicht sehr erwähnenswert.

Vor ein paar Tagen aber wurde mir die Bedeutung jener Aussage klar und deutlich. Angefangen hatte es schon in El Chaltén, mehr dann in El Calafate, und auf dem Weg zum Torres del Paine war es nicht mehr zu ignorieren, nämlich: Hier windet es immer! Und zwar wie wenn jemand dieses ganze südliche Patagonien beim «Sauber»-Rennstall in Hinwil in den Windkanal gestellt hätte (kein Wunder, ging denen das Geld aus). Im Hotel pfiff Tag und Nacht der Wind durch die Ritzen und manchmal tönte es so, als würde gleich ein Fenster zerspringen. Auf all unseren Spaziergängen und Wanderungen blieben wir mehrmals unfreiwillig stehen, kamen fast vom Weg ab, oder mussten uns an einem Felsen festhalten, weil grad wieder so eine richtige, langanhaltende Bö über uns hinwegfegte. Selbstredend, dass wir meistens Gegenwind hatten und bei jeder Bö auch eine Handvoll Sand in die Augen flog. Während einer Autofahrt hatten wir einmal so viel Rückenwind, dass die von den Pneus aufgewirbelten Steine ans eigene Heckfenster prasselten.

Okay, es windete also. Aber abgesehen davon ist dieser Nationalpark wirklich schön. Man kann ja nicht jeden Tag haushohe Eisberge am Seeufer bestaunen (Lago Grey) oder einem Schwarm Kondoren beim Kreisen zusehen. Und dann diese imposanten Berge: Die drei «Torres»-Granitpfeiler und die «Cuernos» sind schon sehenswert, und ich sag das, obwohl wir in der Schweiz ja wahrlich genug Berge haben. Unsere Wanderung zur Laguna Torres haben wir zum Glück frühzeitig begonnen, denn wir sahen die Bergspitzen gerade noch eine Viertelstunde lang, bevor sie in den Wolken verschwanden. Auf dem Rückweg erreichten uns dann schon die ersten Regentropfen und zwar waagrecht von hinten, denn über uns hatte es gar keine Wolken. Hatte ich den Wind schon erwähnt?

Amigos suizos en Patagonia

Aber Themenwechsel: Am Abend nach der Wanderung trafen wir nämlich Freunde. Wir hatten im Oktober rausgefunden, dass Dominik und Fränzi per Zufall zur gleichen Zeit die fast gleiche Reiseroute geplant hatten. Aber eben nur fast, denn sie starteten ein paar Tage später. Also waren sie uns während zwei Wochen ständig auf den Fersen, aber wir waren nie zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Weil sie aber längere Streckenabschnitte fuhren, holten sie auf: in El Calafate kamen sie am gleichen Tag an, an dem wir morgens weitergefahren waren. Und im Torres del Paine sollte es nun endlich klappen. Zwar lag ihre Estancia rund 30km von unserem Hotel weg, also fuhren wir zu ihnen und hatten einen schönen Abend mit feinem Nachtessen (@Dominik: Danke nochmals für die Einladung, wir revanchieren uns dann in ein paar Monaten in der Schweiz!)

La gasolina

Bloss, die Estancia war nicht 30 sondern 50km von unserem Hotel weg, somit hatten wir 100 Zusatzkilometer gemacht. Und da es im Nationalpark keine Tankstellen gibt, wird man überall gewarnt, dass man vollgetankt reinfahren und stets auf die Tankanzeige schauen sollte. Haben wir auch gemacht, bloss fiel diese Anzeige immer tiefer. Als wir nach unserem Ausflug wieder im Hotel waren, zeigte sie noch etwa 10% an, aber bis zur nächsten Tankstelle waren’s 140km. Mir war schon vorher klar, dass es knapp werden würde, also hatte ich bereits auf Dominiks Estancia nach Benzin gefragt (hatten keines) und danach hatten wir versucht, mit Schlauch und Kanister bei Dominiks vollgetanktem Auto Benzin abzuzapfen (ging auch nicht, diese modernen Schlitten haben so einen Diebstahlschutz, da kannst du nicht mehr einfach einen Schlauch reinhalten und saugen).

Also fuhren wir am nächsten Morgen mit einem Kribbeln im Bauch los, so schaltaktiv und anständig wie noch nie, ständig den Blick auf der «Miles per Gallon»-Anzeige und auf der Benzinuhr. Ich bin sicher, das Ding hätte schon bald angefangen zu blinken oder piepsen, hätten wir nicht «irgendwo» noch 10 Liter Gasolina aufgetrieben (ich sag aber nicht wo, denn offiziell dürfen sie ja keins verkaufen). Jedenfalls erreichten wir Puerto Natales ohne schieben, wandern oder stöppeln-Kanister-kaufen-und-zurück-stöppeln. Viel schlimmer, wir erreichten die Tankstelle mit noch knapp 19 Litern im Tank! Diese Tankanzeigen sind so was von auf sicher getrimmt, wir hätten die teuer erkauften Zusatzliter gar nicht gebraucht. Hätten uns die Nervosität und das ganze Tam-Tam sparen können, und der Gartenschlauch auf Dominiks Estancia wär jetzt auch nicht 2m kürzer…

De Guanacos y Gauchos

Unser letztes Teilstück auf der Carretera Austral war nochmals sehr eindrücklich, denn es führte dem Río Baker entlang, Chiles wasserreichstem Fluss. Dieser zieht zuerst breit und ruhig dahin, die Gegend ist ein Anglerparadies. Doch weiter bergab verschwindet er tosend in einer schmalen Schlucht und fliesst mit anderen Flüssen zusammen.

Kurz vor der Stadt Cochrane verliessen wir die Carretera Austral und bogen auf eine kleine Nebenstrasse ab, die durchs einsame Valle Chacabuco zur argentinischen Grenze führt. Doch noch wollten wir nicht zur Grenze, denn im Tal befindet sich eine Lodge, wo wir noch zweimal übernachteten. Dass der Aufenthalt in diesem Tal etwas ganz Spezielles werden würde, kündigte sich schon kurz nach der Abzweigung an: Gleich neben der Strasse weidete friedlich eine Herde Guanaco und schien sich an unserem Vorbeifahren nicht sehr zu stören. Mit jedem Kilometer veränderte sich die Vegetation und wechselte mehr und mehr zum Grasland, das die Leute hier bekanntlich Pampas nennen.

Bald erreichten wir die Lodge, welche ganz idyllisch im Tal liegt. Das Anwesen mit Restaurant, Park-Information, Campingplatz und Lodge ist ziemlich schön und ziemlich schick (Englische Architektur, so eine Art Neo-Kolonialstil), was uns natürlich super gefiel. Zugegebenermassen war es auch nicht ganz die billigste Unterkunft auf unserer Reise. Fürs Mittagessen mussten wir gleich das Restaurant ausprobieren und wir wurden nicht enttäuscht: Essen mit Blick auf die lokale Guanaco-Herde und Salat/Gemüse aus dem eigenen Garten/Gewächshaus. Am Nachmittag gingen wir dann eine Runde wandern, doch weil wir beide wie die kleinen Kinder alles erkunden mussten, ständig stehenblieben und Fotos schossen, hatten wir schlussendlich für die kurze Strecke fast doppelt so lang wie vom Führer angegeben.

Auch das Nachtessen liess kulinarisch keine Wünsche offen, so mussten wir auch am Folgetag auf eine Wanderung, um die vielen Kalorien wieder abzutrainieren. Wir starteten gleich nach dem Frühstück auf den «Lagunas Altas» Trail, eine 25km lange Rundwanderung mit knapp 1’000m Höhendifferenz. Die Tour war zwar anstrengend, aber sehr schön: Die Route führte an sieben Bergseen vorbei und die Aussicht erstreckte sich von der argentinischen Grenze im Osten bis zu den schneebedeckten Bergen des Eisfelds im Westen, und natürlich konnte man das gesamte Tal überblicken.

Die Geschichte dieses Tals, sowie jene von vielen anderen Natur- und Nationalparks Patagoniens ist äusserst interessant und geht auf die Initiative von Douglas und Kristine Tompkins zurück. Man mag dieses kalifornische Ehepaar nicht beim Namen kennen, wohl aber ihre beiden Outdoor-Marken: Douglas Tompkins war Mitgründer von «The North Face» und Kristine CEO von «Patagonia». Die beiden steckten ihr Geld (und ihr Herzblut) aber nicht in Yachten und dicke Autos, sondern in grosse naturbelassene Landparzellen in Chile und Argentinien, mit dem Ziel, diese so vor Abholzung und industrieller Nutzung zu schützen. So haben die beiden seit 1991 mit ihrer Stiftung mehr als 8’000km2 Land aufgekauft, konserviert und z.T. dem Staat vermacht, mit der Auflage, das Land in einen Nationalpark umzuwandeln.

Das Valle Chacabuco steckt noch mitten in diesem Prozess: Bis vor rund 10 Jahren stand hier eine runtergewirtschaftete Estancia, die mit der intensiven Schafzucht den Boden fast zerstört hatte. Kris Tompkins kaufte das Anwesen (690km2!), behielt das Personal und verkaufte Schafe und Rinder. Um das natürliche Grasland wieder herzustellen, wurden mit viel Hand- und Fronarbeit die invasiven Pflanzen ausgerissen. Fast 650km Weidezäune wurden entfernt, damit sich Guanaco und Huemul wieder ansiedeln konnten (das Tal liegt zwischen zwei anderen Naturparks). In ein paar Jahren soll aus dem Valle Chacabuco dann offiziell der «Parque Nacional Patagonia» werden, einen Besuch wert ist das Tal schon heute.

Carretera Austral (Segunda parte)

In einem Wort zusammengefasst, ist die Carretera Austral eine Schotterpiste. Zweifellos eine Schotterpiste durch eine atemberaubend schöne Gegend, aber dazu später. Erst einmal zur Strasse selber: Fahren auf Schotter ist einfach «huere geil». Weil archaisch, weil man mit dem (Miet-)Auto mal «chli ume-rueche» kann, weil ab ca. 50km/h in den Kurven das Heck so toll ausbricht und weil das Auto ein wenig schwimmt, wie wenn man auf Schnee fährt. Ups, habe ich mich gerade als Autofan verraten? Nein, so schlimm ist es nicht. Zudem habe ich ja ein Geschwindigkeitswarnsystem auf dem Beifahrersitz… 😁

Dabei sass Carmen gar nicht immer auf dem Beifahrersitz: Auf einigen Teilstücken hatte sie das Steuer übernommen und fuhr souverän, trotz jahrelanger Fahrpause. Und die Carretera ist auch längst keine reine Schotterstrasse mehr, in den letzten Jahren wurden einige Teilstücke asphaltiert. Zum Glück, denn das Fahren auf dieser Piste ist auch laut und unbequem. Nach einer Weile ist man völlig durchgeschüttelt, taub auf den Ohren, müde und staubig. Das Fahren braucht viel mehr Konzentration, man kommt langsamer vorwärts und es ist wohl auch ein bisschen gefährlicher (wie eines meiner Überholmanöver zeigte, aber dazu keine Details). Distanzmässig ist der grössere Teil asphaltiert, doch zeitlich gesehen fährt man gut zur Hälfte auf Schotter.

Die vergangenen 3 Tage fuhren wir jeweils zwischen 215 und 240km auf der Carretera südwärts: Caleta Gonzalo – Puyuhuapi – Coyhaique – Puerto Rio Tranquilo, jeweils 5 bis 6 Stunden Fahrt. Nicht zu unrecht wird die Strasse als schönste Route Südamerikas bezeichnet.

Am Donnerstag fuhren wir bei bestem Wetter durch dichten Urwald, durch abgebrannte Wälder (Vulkanausbruch El Chaitén im 2008), durch langgezogene, grüne Täler mit reissenden Flüssen, um schliesslich auf einer kleinen Ebene am Ende eines Sees anzukommen.

Am Freitag regnete es in Strömen, wir fuhren zuerst einem See, dann einem Meeresarm entlang. Danach wurden die Berge höher und rauher, die Strasse wand sich zu Serpentinen, links und rechts stürzten Wasserfälle hernieder. Wenig später, an einem zweiten Pass, wähnten wir uns in der Schöllenenschlucht, danach eher wieder in Schottland. Am Nachmittag wurde das Wetter wieder besser und die Landschaft lieblicher. Die Strasse war an einzelnen Stellen gepflastert, wohl weil hier der Boden ständig in Bewegung ist. Schliesslich erreichten wir Coyhaique, die grösste Stadt im chilenischen Teil von Patagonien. Coyhaique liegt auf einer Anhöhe über dem Fluss und umgeben von Bergen. Einer sieht aus wie der Calanda, ein anderer gleicht dem Tafelberg von Kapstadt.

Am Samstag folgte dann die spektakulärste Kulisse: Die Baumgrenze sank, die Berge schienen fahl in blassgelbem Kleid. Dann tauchten dahinter die ersten schneebedeckten Gipfel auf, schliesslich erste Gletscher. Die Strasse war wiederum kurvig, dann öffnete sich auf einmal die Landschaft zu breiten Schwemmtälern, die von mächtigen, mäandrierenden Flüssen durchzogen wurden. Schliesslich erreichten wir den Lago General Carrera, den grössten See von Chile, der sich da türkisblau zwischen den Bergen ausbreitet.

Auf der ganzen Strecke hatten wir in diesen drei Tagen vielleicht acht Dörfer passiert, mehr nicht. Die Gegend ist äusserst spärlich besiedelt. Dafür hatten wir jede Menge Velofahrer überholt: Sowohl bei praller Sonne als auch bei strömendem Regen quälten sich diese mit ihren schwerbepackten Bikes über Kies und Asphalt, ständig im Staub der vorbeifahrenden Autos. Chapeau, was für eine Leistung!

Imposant waren für mich auch die vielen Bauarbeiten: 1973 von Pinochet aus militärisch-strategischen Gründen initiiert, ist die Carretera Austral nun das Rückgrat für den patagonischen Landverkehr und wird kontinuierlich vom schmalen Kiesweg zur breiten, asphaltierten Landstrasse ausgebaut. Wir passierten unzählige Baustellen, mit Einspurbetrieb und viertelstündigen Wartezeiten, mit provisorischen Strecken durch Matsch und Geröll, wir sahen Baufahrzeuge bei abenteuerlichen Arbeitseinsätzen und Strassenbauer/innen im orangen Oelzeug bei Kälte, Wind und strömendem Regen. «Chile para todos», Chile für alle, stand jeweils auf den Baustellenplakaten, und so geniessen auch wir dieses Land, überwältigt von den Menschen, die wir in dieser rauhen Gegend treffen und von der Natur, durch die uns diese Strasse hindurchführt.

Baustelle bei Regen (Foto: Carmen)

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Carretera Austral

Am Montagmorgen nahmen wir unseren Mietwagen entgegen und brachen nach Süden auf. Am ersten Tag legten wir „nur“ 110km zurück, unterbrochen von einer halbstündigen Fährenüberfahrt.

Kurz nach der Fähre hielten wir irgendwo an der Küstenstrasse an und gingen fürs Mittagessen ans Meer runter. Nachdem wir dort 10 Minuten auf einem grossen Stein gesessen waren und in menschenleerer Umgebung unseren Lunch verdrückten, hörten wir plötzlich Plansch-Geräusche vom Meer her. Und siehe da, wir kriegten Besuch: Eine Gruppe von vier Delfinen schwamm rund 30m von der Küste entfernt seelenruhig an uns vorbei, und die Tiere tauchten dabei alle paar Meter mit ihrer typischen Rolle aus dem Wasser auf. Was für eine schöne und unerwartete Begrüssung!

Hornopirén

Am Nachmittag kamen wir dann in Hornopirén an. Ein guter Teil der Strasse war Schotterpiste, so konnten wir schon mal ausprobieren, wie gut sich unser Suzuki auf diesem Untergrund fahren lässt. Wir bezogen unser Zimmer in einer einfachen Cabaña und gingen fürs Nachtessen ins Restaurant. Im Gegensatz zu Argentinien stehen hier auch Fisch und Meeresfrüchte hoch im Kurs. Kein Wunder, liegen doch die Fischgründe und -farmen gleich vor der Haustüre. Also bestellten wir Salmón bzw. Mariscos und wurden nicht enttäuscht: Selten hab ich so frische, so verschiedene und so viele Muscheln gegessen, und Carmens Lachstranche von der Grösse eines argentinischen Steaks war auch nicht zu verachten. ¡Muy rico!

Nochmals Fähre

Da in Hornopirén die Strasse nach Süden endet, kommt man nur mit dem Schiff weiter. Wir fuhren also frühmorgens auf die Fähre und genossen die 4-stündige Überfahrt, auch wenn das Wetter neblig-regnerisch war. Die Landschaft rundherum wurde immer steiler, bald fuhr das Schiff in einen langgezogenen Fjord und stoppte an einem einsamen Steg. Nun fuhren alle Autos im Konvoi 10km über eine unbewohnte Halbinsel, nur um auf der anderen Seite nochmals auf eine Fähre zu verladen. Nach dieser weiteren Fahrt erreichten wir Caleta Gonzalo. Ab hier führt die Strasse weiter, doch wir bezogen für die nächsten zwei Nächte eine der 7 Cabañas, die gleich neben der Fährstation liegen.

Caleta Gonzalo

Caleta Gonzalo hat weder Internet noch Mobilnetz-Empfang, es besteht einzig aus einem Café, 7 Cabañas, einem Naturpark-Infocenter und der Fähren-Anlegestelle. Völlig abgeschieden, könnte man meinen, doch nein: Alle paar Stunden kommt «Don Beto», die Fähre, und man muss sich dieses Schauspiel wieder und wieder ansehen: Zuerst kommen auf der Strasse von Süden immer mehr Fahrzeuge an, stellen sich in eine lange Kolonne und warten. Dann kommt die Fähre und giesst einen Schwall von Motorrädern, Pick-ups, Velos und Bussen auf den kleinen Platz. Backpacker suchen eine Mitfahrgelegenheit und unschlüssige Fahrer werden vom Hintermann angehupt. Kaum ist die Fähre leer, fahren schon die Autos aus der Warteschlange über die Landungsbrücke. Dann legt «Don Beto» ab und es kehrt wieder Ruhe ein. Oder kommt dort schon das nächste Auto daher? Für uns war es ein wenig wie fernsehschauen. Als es eindunkelte, wurde das Treiben weniger und im Café waren jetzt nur noch die Gäste aus den Cabañas fürs Nachtessen versammelt.

Parque Pumalin

Am Mittwoch erkundigten wir den Parque Pumalin. Dies ist der grösste private Naturpark Chiles und Caleta Gonzalo liegt mittendrin. Das Gebiet ist ein sehr steiles Tal und die Carretera Astral führt am Talboden hindurch. Der Park kann nur auf den ausgeschilderten Routen begangen werden, denn gleich neben der Strasse beginnt dichte Vegetation. Der „Sendero de Alerces“ führte uns durch diesen Urwald und an 1’000 jährigen Lärchen vorbei. Und ausgerechnet auf der Hängebrücke musste mir meine Sonnenbrille runterfallen, sie wird den Bergbach nun noch ein wenig länger geniessen… Danach machten wir uns noch auf den Tronador Trail, der vom Lonely Planet-Reiseführer zu recht als Treppenhaus bezeichnet wird. Jedenfalls legten wir in subtropischer Feuchtigkeit gut und gerne 400 Höhenmeter zurück, bis wir dann nach einer Stunde beim „Mirador Michinmahuida“ unseren Lunch geniessen konnten. Beim Abstieg freuten wir uns schon auf Dusche und Kaffee, und den Rest des Nachmittags verbrachten wir wieder mit fernsehgucken: Anlegen, ausladen, einladen, abfahren.