Reisetagebuch von Christian Kaiser

Monat: Mai 2017 (Seite 2 von 3)

蒙古人更早天, 今 游客 – Früher gegen Mongolen, heute für Touristen

Am Mittwoch stand wieder einmal eine Trekking-Tour auf dem Programm, und zwar hatten wir eine ganz bestimmte Strecke im Sinn: Wir wollten in der Provinz Hebei von 古北口 (Gubeikou) nach 金山岭 (Jinshanling) wandern. Warum gerade dort, 130km von Beijing entfernt? Klar, natürlich wollten wir auf die Chinesische Mauer. Frühmorgens ging es los, mit Fahrer und Reiseleiterin. Kaum waren wir beim Startpunkt ausgestiegen, fragte diese uns mehrmals, ob wir noch «Harmonie» bräuchten, bis wir begriffen: Es war die letzte Chance für eine WC-Pause…

Nach einem kurzen Aufstieg auf die Hügelkrete erreichten wir die Mauer. Zuerst war da ausser ein paar Steinen nicht viel zu sehen, doch hundert Meter weiter stand die Ruine eines Turms. Je weiter wir kamen, desto mehr war von der Mauer erhalten, auch wenn sie hier noch in einem sehr urtümlichen Zustand ist. Laura erklärte uns dann, dass wir gerade noch Glück gehabt hätten: Drei Tage später würde dieser Mauer-Abschnitt wegen Restauration gesperrt werden. Umso mehr genossen wir dieses imposante Bauwerk im aktuellen Zustand, sowie die malerische Umgebung und die prächtige Aussicht. Auf und ab ging’s über die Krete, immer wieder stieg die Mauer zu einer Hügelspitze hoch, wo sie dann in einen Turm mündete, nur um gleich dahinter wieder steil abzufallen. Bis zum Horizont konnten wir das Zickzack der Mauer und die vielen Türme ausmachen. Unvorstellbar, wie dieses Bauwerk damals entstanden sein muss, wie die Bauleute all diese Steine auf die Hügel hinaufgeschleppt haben müssen. Gemäss Laura seien damals um die 200’000 Arbeiter beim Bau zu Tode gekommen…

Unterwegs trafen wir noch eine andere Reisegruppe, die – wie konnte es anders sein – auch aus der Schweiz kam. Wir wanderten ein Stück weit gemeinsam weiter und machten dann auf einem kleinen Bauernhof einen Zwischenhalt (es gab kalten Grüntee und «Harmonie»-Möglichkeit).

Schliesslich näherten wir uns dem Ende unserer Tour, inzwischen waren wir auf einem restaurierten Stück der Mauer angekommen und bei Jinshanling verliessen wir sie dann. Hier haben die Chinesen das ganze Dorf in eine einzige Touristenmeile umfunktioniert, von der Mauer bis zum Parkplatz runter ist die Strasse gesäumt von Souvenirläden, Take-away-Ständen und Fast-food-Restaurants. Die Stimmung war aber etwas seltsam, denn ausser uns sechs Wanderern hatte es keine weiteren Touristen. Da es näher bei Beijing zwei andere Teilstücke der Mauer gibt, die sowohl besser erhalten als auch schneller erreichbar sind, kommen nur wenige Leute hierher.

Gegen 14:30 gingen wir in ein traditionelles Restaurant auf ein spätes und feines Mittagessen in einem «Landgasthof». Ja, ich schreibe schon wieder vom Essen, aber in China ist dieses Thema einfach nicht wegzudenken. Genauso wenig wie dann der Stau auf der Rückfahrt nach Beijing: Wegen einer Polizeikontrolle steckten wir über eine Stunde fest und konnten in Ruhe das chinesische Gedrängel beobachten: Zweispurige Autobahn, doch die Autos fahren in drei oder vier Reihen, drängeln auf dem Pannenstreifen nach vorne oder hupen sich ihren Weg frei. Es wird abgedrängt und ausgebremst, doch niemand scheint sich ernstlich aufzuregen. Dieses Verhalten steht wohl sinnbildlich für das Leben in China: Jeder will möglichst schnell vorwärts kommen, sucht sich den besten Weg, nutzt ohne zu zögern Schwächen der anderen aus, blickt weder seitwärts noch zurück. Für uns ungewohnt, aber hier wohl Alltag…

中间垤在 – Im Ameisenhaufen der Mitte

Montag: gross, grösser, am Grössten

In Beijing ist alles riesig. Der Flughafen ist elend gross (der zweitgrösste der Welt), die Hauptstrassen sind extrem breit und der Verkehr ist immens. Schon im Taxi zum Hotel lernten wir, dass hier auf den Strassen schonungslos das Recht des Stärkeren angewendet wird. Dies galt auch für die engen Gassen im Hutong, wo unser Hotel lag, nur waren es hier nicht Autos, sondern Velos und Elektro-Roller, die einem aus beiden Richtungen hupend um die Ohren flitzten. Unser Hotel war eine kleine Oase inmitten von diesem Gewusel und Lärm. Die Anlage liegt mitten im 南锣鼓巷 (Nan·luo·gu·xiang) Hutong, also in einer der wenigen verbliebenen Altstadtsiedlungen, wo noch die traditionellen einstöckigen Hofhäuser stehen.

Auch unser erstes Restaurant war gross, zwar nicht zur Strasse hin, aber nach hinten erstreckte es sich auch wieder über einen ganzen Hinterhof und bot Platz für Hunderte von Personen. Auf der Speisekarte waren tatsächlich Hühnerfüsse, Kaninchenköpfe, grillierte Frösche und andere Grässlichkeiten zu finden, doch glücklicherweise servierte man auch scharfes Poulet, Gemüse und Rindfleisch. Super fein und höllisch scharf! Beim Verlassen des Restaurants stellten wir fest, dass draussen Leute rumstanden und auf Einlass warteten: Es ist hier tatsächlich üblich, dass man – wie in der Schweiz auf der Post – ein Nümmerli zieht und dann aufgerufen wird, sobald wieder ein Tisch frei geworden ist.

Chinesisch, mit viel Scharf!

Dienstag: Widerstand ist zwecklos

Am Dienstag nahmen wir uns die Verbotene Stadt vor. Da uns die U-Bahn-Verbindung eher umständlich schien (zweimal umsteigen auf 5 Stationen), stiegen wir wieder in ein Taxi. Schliesslich waren wir am Vortag für 20 RMB (ca. 3 Franken) zum Hotel gefahren worden. Nun ist aber auch das Verkehrschaos in Beijing gigantisch, speziell in der Innenstadt. Nach knapp einer halben Stunde Taxifahrt waren wir erst etwa 500m weit gekommen und der Zähler stand schon bei 30 RMB. Zu Fuss gehen wäre schneller und günstiger gewesen. Wir begannen schon zu beraten, ob wir das Taxi einfach stoppen und aussteigen sollten, da lichtete sich der Stau und wir kamen doch noch ans Ziel.

Vorwärts, Marsch, Besichtigen!

Das heisst, fast, denn schon an der Ecke zum Tian’anmen-Platz blieben wir in einer Menschenmenge stecken. Diese bewegte sich langsam in die gewünschte Richtung und schliesslich merkten wir, dass wir hier für einen ersten «Security Check» anstanden. Kaum an diesem vorbei, krochen wir mit der Menge in Richtung Eingang. Vorab hatten wir noch versucht, die Tickets übers Internet zu kaufen, doch da die Seite ausschliesslich in Mandarin gehalten war und auch die Übersetzungsmaschine nicht weiterhelfen konnte, hatten wir das Unterfangen aufgeben müssen. Stattdessen standen wir nun am Ticketschalter an und hofften auf kurze Wartezeiten. Aber auch mit Ticket ging das Anstehen weiter, denn als nächstes holten wir uns noch einen Audioguide und mussten noch durch eine zweite Sicherheitskontrolle. Wie alle andern liessen wir das stoisch über uns ergehen, denn: «Resistance is futile», das sagten schon die Vogonen und die waren auch etwa so freundlich wie hier die Sicherheitsleute und Angestellten.

Die Halle der höchsten Harmonie

Zum Glück hatten wir einen Tag erwischt, an dem es nicht so viele Besucher hatte, aber «viel» ist ja ein relativer Begriff, denn die Verbotene Stadt wird im Jahr von ca. 16 bis 20 Millionen Personen besucht. Damit die Leute sich nicht ständig gegenseitig auf den Füssen stehen, wird die Menge an täglich verkauften Tickets auf 80’000 begrenzt. Trotzdem hatten wir auch im Kaiserpalast drin ständig das Gefühl, als befänden wir uns in einem Ameisenhaufen: Zusammen mit allen anderen Touristen krabbelten wir durch Tore, über Höfe, schauten in Gebäude hinein, und die Mauern und Paläste wollten kein Ende nehmen. Nach drei Stunden hatten wir dann aber langsam genug von all den Superlativen: Wir schlichen uns wieder auf die Strasse raus, kauften ein Glacé und spazierten am Wassergraben entlang nach Süden.

Der Tempel des unermüdlichen Souvenirjägers

Als nächstes schauten wir uns die überdimensionierte silberne Kaffeebohne an, bzw. das National Centre for the Performing Arts oder im Volksmund: Staatsoper. Auch dieses Gebäude ist vor allem darauf ausgelegt, mit Superlativen aufzutrumpfen. So soll es beispielsweise den Konzertsaal mit dem weltweit längsten Echo haben (1.6 Sek.). Es hatte mit Sicherheit auch den weltweit schlechtesten Kaffee, aber darauf wurden die Besucher nicht extra hingewiesen.

Prahlerische Staatsoper (NCPA)

Danach wollten wir auf den nahen Tian’anmen-Platz, doch die ersten beiden Zugangsstrassen wurden durch Polizeiposten abgeriegelt. Erst nach einem grösseren Umweg erreichten wir endlich den Platz, der ja – Vorsicht, Superlativ – der grösste Platz der Welt sein soll. Mit dem klotzigen Mausoleum mittendrin wirkte er dennoch etwas verstellt. (Die Russen haben den Lenin wenigstens an den Rand des Roten Platzes gestellt.)

Auf dem Tian’anmen-Platz (Platz am Tor des Himmlischen Friedens)

Weil uns nun schon länger die Sonne in den Nacken brannte, flüchteten wir uns ins nahe Eisenbahnmuseum, um uns dort etwas abzukühlen und ein paar Eisenbahnen anzuschauen. Doch die Chinesen schafften es doch tatsächlich, auf drei Stockwerken Fotos, Informationen und Landschaftsmodelle zu zeigen, ohne aber auch nur eine einzige richtige Lok oder wenigstens eine Modelleisenbahn auszustellen!

Ein gigantisches Stadtmodell

Schliesslich besuchten wir noch die Beijing Planning Exhibition Hall, hier gab’s mal wieder ein Stadtmodell sowie einen Film über Beijings Zukunft zu sehen: In den nächsten Jahren will die Regierung rund um Beijing herum elf neue Satellitenstädte bauen und dann einen Teil der Stadtbevölkerung dorthin aussiedeln, um so die Innenstadt zu entlasten und damit wieder lebenswerter zu machen. Zusätzlich sollen zwei neue Tangentialstrassen den bereits kollabierten Verkehr wieder zum Fliessen bringen. Der Film tönt wie das Werbevideo einer Immobilienfirma und man möchte sich ob den vollmundigen Ankündigungen schon fast ein wenig lustig machen, doch weil man sieht, in welchem Tempo und mit welcher Konsequenz sich China entwickelt, bleibt einem das spöttische Lächeln im Hals stecken.

생일 축하 해요, 부처님 – Happy birthday, Buddha

Am 3. Mai hatte Buddha Geburtstag. Jedenfalls dieses Jahr, denn seine Anhänger richten sich nach dem Mondkalender. Die Koreaner (zu je rund 30% Buddhisten, Christen oder konfessionslos) feierten das mit dem Lotus-Laternenfestival. Schon zwei, drei Wochen vorher hatten sie begonnen, bei den Tempeln bunte Lampions aufzuhängen und kurz darauf wurden dann in der ganzen Stadt die Strassen bunt behängt. Am Wochenende vom 28./29. April fand das grosse Geburtstagsfest statt, mit einem Umzug auf der Jung-gu am Samstagabend und einem Strassenfest am Sonntag. Und natürlich wurde in allen Tempeln gefeiert, speziell im Jogye-sa.

Die Glockenstrasse (deutsch für Jung-gu) ist die 12-spurige Hauptstrasse durch Seoul. Normalerweise ist es für Fussgänger fast unmöglich, sie zu überqueren, doch für den grossen Umzug war sie für den Verkehr gesperrt worden. Am Rand der Strasse waren in abgesperrten Bereichen Plastikstühle aufgereiht worden. Wir erkundigten uns naiv, wieviel denn der Eintritt kosten würde, und staunten, als die freiwilligen Helfer uns beschieden, dass die Plätze gratis seien. Also setzten wir uns und erhielten gleich einen Lampion. Die ältere Dame, die uns die Kerze anzündete, konnte kein Englisch, doch ein anderer Gast übersetzte ihren Wortschwall: Die Plätze, auf die wir uns gesetzt hätten, seien nicht gut genug für uns Touristen, meinte sie; wir sollten doch auf der nahen Tribüne Platz nehmen. Wow, welche Gastfreundschaft! Wir lehnten aber dankend ab und genossen den Umzug von den «billigen Plätzen» aus. Während mehr als zwei Stunden zogen dann die verschiedenen Gruppen vorbei, jede mit ihren grossen Laternen und einige mit Musikanten oder Tanzgruppe, ganz Seoul schien an diesem Umzug teilzunehmen. Schön war das!

Am Sonntag schauten wir uns den Jogye-sa Tempel an, dessen Vorplatz vollständig von Lampions überdeckt war. Dieser eindrückliche und sinnliche Baldachin musste aus tausenden solchen Laternen bestanden haben! Am nahen Strassenfest interessierten uns vor allem die diversen Essstände. Am besten waren eindeutig die taiwanesischen Gemüse-Pfannkuchen, da mussten wir sogar ein zweites Mal am Stand vorbei.


Inzwischen ist dieser Monat in Seoul schon wieder vorüber. Zwar hatten wir schon vor ein paar Tagen begonnen, uns auf die bevorstehende China-Reise vorzubereiten, und wir freuten uns auch sehr auf die Weiterreise, doch fiel es uns so schwer wie noch nie zuvor, unsere Unterkunft zu verlassen. Wir hatten unser schönes «Hüsli» und die verwinkelten Gassen im Quartier wirklich lieb gewonnen. So kam in den letzten Tagen auf dem Heimweg jeweils schon ein wenig Wehmut auf, im Wissen darum, dass wir bald weiterziehen würden…

Seoul wird uns also in sehr guter Erinnerung bleiben. Nun sind wir auf dem Weg nach China, und was wir dort erleben werden, wird hier schon bald zu lesen sein.

도봉 산에서 – In den Dobong-Bergen

Vor ein paar Tagen waren wir endlich wieder einmal wandern. Und zwar «richtig», nicht bloss so auf einen kleinen Namsan hoch. Diesmal wollten wir in den Bukhansan Nationalpark, der nördlich von Seoul teilweise noch auf Stadtgebiet liegt. Dank dem ausgedehnten U-Bahnnetz konnten wir gleich mit der Metro dorthin fahren.

Und wir hätten auch gut nackt hingehen können, denn auf den paar hundert Metern von der Bahnstation bis zum Start des Wanderwegs reihte sich ein Ausrüstungsladen an den nächsten: Thermo-Unterwäsche, Wanderhosen, Softshells, Rucksäcke, Wanderstöcke, Getränkeflaschen, Proviant und so weiter, man hätte sich hier von Grund auf einkleiden und ausrüsten können. Jede westliche und östliche Outdoor-Marke war mit einem Laden vertreten, und das ganze Angebot war an Kleiderstangen und auf Tischen bis direkt an den Wegrand gestellt.

Bei der Wanderausrüstung verstehen die Koreaner im Fall keinen Spass! Wir hatten das schon bei den Wochenend-Ausflüglern gesehen, die jeweils perfekt ausgerüstet auf den Ingwansan stiegen, jenen Hügel hinter unserem Quartier, dessen Wanderweg gleich bei uns um die Ecke beginnt. Jede(r) von denen trug modische Outdoor-Kleidung, neuste Trekkingschuhe, die besten Wanderstöcke und eine farbige Sonnenmütze. Vorne an den Rucksackträgern hatten sie mit Karabinern Trinkflasche und Kompass befestigt sowie praktische Handschlaufen. Da konnten wir nicht mithalten. Als Reisende mit beschränktem Gepäck für verschiedene Klimazonen mussten wir bei fast jedem Outfit Kompromisse eingehen.

Trotzdem wagten wir uns in dieses Wanderparadies, doch eigentlich wussten wir ja noch gar nicht recht, wohin wir denn genau wandern würden. Im Internet stand nämlich, dass man bei der Touristeninformation eine kleine Karte kriegen könne, und darauf vertrauten wir blind. Tatsächlich erblickten wir am Ende unseres Shopping-Spiessrutenlaufens den Info-Pavillon, und noch bevor wir einen weiteren Gedanken fassen konnten, wurden wir von einer netten Dame praktisch angefallen: Ob wir denn schon wüssten, wohin wir wandern wollten, wie lange unsere Tour denn so sein sollte, mit welchem Schwierigkeitsgrad und was wir unterwegs anschauen wollten. Ruckzuck wurden wir mit allen nötigen und vielen weiteren Informationen eingedeckt, nun konnte es losgehen. Und vor allem hatten wir jetzt ein Ziel: Auf den Jaunbong wollten wir steigen, einen der höchsten Gipfel im nördlichen Teil des Parks.

Bis zum Gipfel waren es zwar nur 3km, doch diese hatten es in sich: 700 Höhenmeter galt es zu erklimmen, ganz schön steil also. Das erste Stück vom Weg war breit und gut ausgebaut, dafür waren wir auch nicht ganz die einzigen Wanderer: Obwohl wir unter der Woche unterwegs waren, wälzten sich Hundertschaften von Koreanern durch den Wald. Später wurde der Weg steiler und felsiger, und die Weggefährten wurden seltener. Auf halber Strecke kamen wir an einem einsamen Tempel vorbei, kurz danach an einem abschüssigen Felsrücken, der auf der englischen Karte nur als «The Rock» verzeichnet war. Gegen den Gipfel hin wurde der Weg nun wirklich uhuere steil, doch plötzlich erblickten wir vor uns eine breite, gezimmerte Treppe. Diese führte uns bequem die letzten 50 Höhenmeter hoch, bis auf ein kleines Bödeli zwischen den beiden Gipfeln. Komisch, oder? Aber bei 10 Mio. jährlichen Besuchern im Nationalpark ist es verständlich, dass sie hier die Wege gut ausbauen, ich will mir ja nicht ausmalen, wie der Weg sonst aussehen würde. Zudem hätte dann das «Rescue Center», welches ganz in der Nähe vom «The Rock» lag, wohl einiges mehr zu tun.

Die letzten Meter zum Gipfel mussten wir uns noch erklettern, denn ganz hinauf führten die Stufen dann doch nicht. Damit es trotzdem jeder hinauf schafft, war aber ein Geländer montiert worden. Oben angekommen, hatten wir dann eine ziemlich coole Aussicht. Jedenfalls hatte ich vorher noch nie von einem Berg runter direkt auf ein Meer von Hochhäusern geschaut…

아름다운 전망 과 불필요한 지식 – Schöne Aussicht und unnötiges Wissen

Am 26. April nahmen wir den Namsan in Angriff, das ist so etwa der Üetliberg von Seoul. Auf dem Planetenweg, äähh, nein, auf dem «North Namsan Circuit» stiegen wir auf den südlichen Hausberg von Seoul. Die Stadtmauer, die sich ebenfalls über diesen Hügelkamm zieht, hatte früher einmal die Stadt gegen Süden abgeschlossen und beschützt, doch heute haben die Häuser den Namsan umzingelt, direkt unter der Mauer liegt Itaewon und dahinter zieht sich das Häusermeer bis zum Han-Fluss und darüber hinaus.

Blick nach Süden: Auch ennet dem Han-Fluss spriessen die Wohntürme

Wie es sich für einen Hausberg gehört, steht auf dem Gipfel ein Aussichtsturm. Beim N Seoul Tower ist aber vermutlich schon das 5-stöckige Shoppingcenter im Fuss des Turms höher als der Üetlibergturm. Auf ungefähr halber Höhe befinden sich drei Stockwerke mit Aussichtsterrasse, Souvenirshop und Drehrestaurant. Mit seinen 236m Höhe ist der Turm ein Wahrzeichen von Seoul und ist von fast jedem Ort in der Stadt zu sehen.

N Seoul Tower, Seouls «Üetlibergturm»

Es scheint, dass wir ein Faible für Städte mit solchen Türmen haben (siehe Auckland und Toronto), jedenfalls mussten wir auch hier hinauf zur Aussichtsterrasse, um ein paar Fotos durch die dreckigen Scheiben zu schiessen. Die Aussicht war wiklich imposant, denn die Häuser – und mitunter Hochhäuser – erstrecken sich bis zum Horizont, egal in welche Richtung man schaut.

Aussicht nach Nordosten: Hochhäuser so weit das Auge reicht

Am Fuss des Turms – so hat es sich etabliert – hängen Seouls Liebespaare gerne «Locks of Love» auf: Vorhängeschloss kaufen, mit Namen und Herzli beschriften, am Geländer der Aussichtsplattform festmachen, Schlüssel fortwerfen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Liebe ewig hält, ganz nach dem mittelhochdeutschen Vorbild von «Du bist mîn, ich bin dîn […] verloren ist das slüzzelîn». Jetzt wäre Seoul aber nicht Seoul, wenn das Schlösser-Aufhängen nicht genaustens reglementiert wäre! Wo kämen wir denn da hin mit der Statik, wenn all die Romantiker ihre 100 Gramm Eisen irgendwo an die Terrasse hängen würden. Also gibt’s hier «Heart Lock Zones» und strenge Vorschriften:

«Die Schlösser ausser erlaubter Bereich werden entfernt für sicherstellen Ausicht Recht für ‹Bürger›…»

Und wenn wir schon bei der Organisation sind: Es gibt sicher U-Bahnen mit besserer Signaletik als die Seoul Metro, aber die Stationspläne, speziell bei den Umsteigestationen, die sind super (wenn man sie denn findet). Und vor allem sind die Pläne jeweils so gedreht, dass es für den Betrachter stimmt. Gerade für uns Koreanisch-Analphabeten ist das extrem hilfreich, wir gehen auch so noch oft genug in die verkehrte Richtung…

Wie komm ich jetzt am schnellsten zum Ausgang 10?

Muss man mal auf die Metro warten, dann hat’s an den Stationen überall Fernsehmonitore. Diese zeigen neben Werbung auch immer wieder mal ein Notfallvideo: Wie man sich bei Feuer/Rauch zu verhalten hat (Schutzmaske anziehen), oder wie man einen Verletzten wiederbelebt (CPR). Die entsprechenden Hilfsmittel stehen an jeder Station griffbereit in einem Glaskasten. Jede Unterführung und U-Bahn-Station ist bei den Eingängen auch gross und rot als «Shelter» angeschrieben, immer wieder eine kleine Erinnerung, dass der «bö Fei» im Norden mit seinen Raketen zeuselt.

TGV-Technologie von Alstom: Der Korea Train eXpress (KTX)

Um das Thema Eisenbahn abzuschliessen: Natürlich musste ich auch mal an den Hauptbahnhof gehen, um Koreas TGV, also den KTX zu fotografieren. Bei dieser Gelegenheit bin ich auch gerade den beiden Maskottchen der kommenden Winter-Olympiade begegnet, welche ja bekanntlich in Südkorea stattfinden wird.

Tiger und Bär, die Olympiade wird fair.

Das nächste grosse politische Ereignis sind die Präsidentschaftswahlen, die am nächsten Dienstag, 9. Mai entschieden werden. Nicht weniger als 15 Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge der abgesetzten Geun-hye Park. Schon seit ein paar Wochen hängen überall Plakate und plärren mobile Lautsprecher, vor ein paar Tagen haben wir auch noch Wahlwerbung in den Briefkasten erhalten. Läuft also alles gleich wie zuhause.

Noch strahlen alle 15 Kandidaten, nächsten Dienstag wird’s nur noch einer sein.

Echt visionär sind die Leute, wenn es ums Thema Geschichte geht. Für uns ist diese immer rückwärtsgewandt: Wir graben in der Vergangenheit und fragen uns, wie die Leute wohl vor 400 Jahren gelebt hatten, womit sie sich wohl befasst hatten. Die Einwohner von Seoul haben sich hingegen gefragt, wie wohl in 400 Jahren die Menschen in die heutige Zeit zurückschauen werden. Um sicherzustellen, dass diese Frage dann in ferner Zukunft auch richtig beantwortet werden kann, haben sie bei der 600-Jahre-Hauptstadt-Feier 600 Gegenstände in die Millenium Time Capsule verstaut und diese in einem futuristischen Monument einbetoniert. Am 23. November 2394, bei der 1’000-Jahr-Feier, soll sie dann wieder geöffnet werden. Ist doch eine super Idee, oder? Was würdest Du in eine solche Kapsel stecken? Und welche Schlüsse werden die Menschen in 400 Jahren daraus ziehen?

셀카 궁전 – Im Selfie-Palast

Gyeongbokgung (der westliche Palast) und Changdeokgung (der östliche Palast) sind die beiden wichtigsten Paläste in Seoul. Im Changdeokgung wohnte noch bis ins 19. Jahrhundert die koreanische Königsfamilie, bis 1895 die japanischen Invasoren kamen und die Kaiserin ermordeten. Nach diesem «unfriendly takeover»  wurden die Paläste von der japanischen Besetzungsmacht nicht unbedingt gepflegt und auch der zweite Weltkrieg und der Koreakrieg trugen nichts zum Erhalt der Anlagen bei. Wenn die Tempel heute trotzdem aussehen wie neu, so hat das einen ganz einfachen Grund: Sie sind weitgehend neu.

Heute sind sie ein wichtiges Identifikationsmerkmal der Koreaner, um sich von den Japanern und Chinesen kulturell abzugrenzen. Natürlich kann man die Paläste besichtigen und wer einen Hanbok trägt, darf sogar rein, ohne Eintritt zu bezahlen. Deshalb gibt’s rund um die Paläste Geschäfte, wo man diese traditionellen Kleider mieten kann. Und zumindest die weibliche Hälfte der Jugend scheint das Schiessen von «Hanbok-im-Palast-Selfies» als aktive Freizeitbeschäftigung zu betreiben: Meiner Einschätzung nach gibt es in Korea kaum ein Teenie-Mädchen, das nicht mindestens ein Foto auf dem Händy hat, wo es im Hanbok vor irgendeiner Tempelwand posiert. Nun, dagegen ist nichts einzuwenden, es verschönert ja die Touristenfotos…