Chung Ju-yung wuchs in den Zwanziger Jahren in der Kangwŏn-Provinz auf, welche heute in Nordkorea liegt. Schon 1946 gründete er Hyundai, doch kam der Betrieb bei Kriegsausbruch zum Erliegen und Chung flüchtete nach Busan. Aber kaum hatten die UNO-Truppen Seoul zurückerobert, brachte er die Firma wieder auf Trab und Hyundai wurde ein globaler Konzern. Chung vergass aber nie seine «nordkoreanische» Heimat, deshalb setzte er sich sehr für die Normalisierung der inner-koreanischen Beziehungen ein. 1998, inzwischen 83jährig, reiste er mit 1’001 Kühen in den Norden und verteilte diese an die arme Bevölkerung in seiner Heimatprovinz. Weshalb genau 1’001 Kühe? Nun, als 17jähriger war er zuhause ausgerissen und nach Seoul gereist, um dort arbeiten zu können. Um die Fahrt zu finanzieren, hatte er damals eine Kuh seines Vaters verkauft. Nun wollte er diese eine Kuh zurückbringen, die 1’000 weiteren Kühe bezeichnete er als Zinsen.
Chung Ju-yung tat aber noch weit mehr für sein Land, so finanzierte er z.B. auch den Bau der Unification Bridge, einer kilometerlangen Strassenbrücke bei Paju, 50km nördlich von Seoul. Und genau über diese Brücke fuhren wir heute. Seit wir in Seoul in den Reisebus eingestiegen waren, hatte sich die Landschaft schleichend verändert: auf der linken Seite war die Autobahn auf einmal mit Stacheldraht abgesichert und in regelmässigen Abständen folgten militärische Wachtürme. Auf der anderen Seite des Flusses lag nämlich Nordkorea. Der Unterschied war offensichtlich: In Südkorea sind die Hügel bewaldet, in Nordkorea kahl: abgeholzt von den Leuten, die Brennholz für ihre Häuser brauchten. Und nun also die «Unification Bridge». Sie ist nicht sehr stark befahren, denn auf der nördlichen Seite liegen nur zwei Dörfer, ein Bahnhof und ein Militärcamp.
Wir fahren zuerst zum Bahnhof Dorasan. Das moderne Gebäude wurde 2003 eröffnet, in jener Zeit waren die inner-koreanischen Beziehungen gerade etwas besser. Doch trotz dem Schild «Pyeongyang 205km» fährt hier kein Zug nach Norden, und auch Richtung Süden gibt es nur vier Verbindungen im Tag. Es ist ein Geisterbahnhof, aber auch ein Symbol: «Wir sind bereit für die Öffnung» scheint die Anlage zu sagen, doch der Norden hört nicht. Stattdessen sendet er: Die Stille dieses Ortes wird von Lautsprechern gestört, es erklingen patriotische Marschmusik und anti-westliche Propaganda. Unsere Tourguide gesteht allerdings ein, dass auch der Süden den Norden beschallt, allerdings «quäle» man die Nachbarn vorwiegend mit K-Pop-Musik.
Als nächstes fährt uns der Bus einen kleinen Hügel hoch zum Dora Observatory, einem Militärstützpunkt. Von hier hat man einen guten Überblick über das Tal und die 4km breite Demilitarisierte Zone (DMZ). Wir sehen bis weit nach Nordkorea hinein, zur Stadt Kaesong und zu den Bergen dahinter. Am auffallendsten ist aber das Dorf Kijŏngdong, welches auf der nördlichen Seite in der DMZ steht. Dieses Propaganda-Dorf besteht einzig aus bemalten Betonwänden, es beherbergt keine Bewohner. Zusammen mit seinem 160m hohen Fahnenturm sollte es Macht und Präsenz demonstrieren, doch seit der Erfindung von Teleskop-Linsen und Satelliten ist dieser Effekt etwas verpufft.
Wenig später fahren wir weiter zum «Third Infiltration Tunnel». Dieser war von den Nordkoreanern in 73m Tiefe aus dem Fels gesprengt worden und wurde 1978 dank den Aussagen eines Überläufers entdeckt. Wir steigen auf einer Rampe in den beklemmend engen Stollen hinunter und können rund 260m davon in gebückter Haltung begehen. Die Gesamtlänge ist 1’635m, wovon 435m auf der südlichen Seite der DMZ liegen. Offensichtlich hätte der fertige Tunnel dazu dienen sollen, eine grosse Anzahl Soldaten rasch nach Südkorea einmarschieren zu lassen. Nebst diesem Tunnel wurden noch drei andere entdeckt, und man nimmt an, dass es noch weitere unentdeckte Tunnels gibt.
Ganz in der Nähe des «Third Tunnels» liegt Camp Bonifas, ein Militärcamp der UNO-Friedenstruppen. Hier angekommen, übernimmt das Militär die Leitung unserer Tour: Befehlston, Passkontrolle, Briefing. Dann wird’s ernst: Wir steigen in einen Militärbus, unser Reisecar bleibt im Camp. Ein ROK-Soldat (Republic of Korea) am Steuer, ein US-Army am Mikrofon. Wir passieren den ersten Checkpoint, die Stimmung im Bus wird verhalten. Nach wenigen hundert Metern der zweite Checkpoint, jetzt sind wir in der DMZ, also im Niemandsland vor der Grenze. Eigentlich heisst es ja «Military Demarcation Line» (MDL), nicht Grenze.
Schliesslich erreichen wir Panmunjeom, auch als Joint Security Area (JSA) bekannt. Hier wurden 1953 der Waffenstillstand verhandelt und die Kriegsgefangenen ausgetauscht. Die Zone steht unter UNO-Verwaltung, die Grenze verläuft durch die Mitte. Beide Parteien haben hier ein Gebäude, dazwischen stehen – genau auf der MDL – drei hellblaue Uno-Baracken, in denen man sich für Verhandlungen trifft. Als Überwacher des Waffenstillstandsabkommens stehen hier übrigens Schweizer und Schwedische Offiziere im Einsatz, seit 1953. Es ist der erste und am längsten andauernde Auslandeinsatz der Schweizer Armee.
Auf der Südseite des «Freedom House» steigen wir aus dem Bus, inzwischen ist die Anspannung bei allen Touristen sichtbar. Die Soldaten bellen kurze Kommandos und in Zweierreihe geht es ins Haus. Auf der grossen Treppe folgen letzte Instruktionen, wann und in welche Richtung Fotos erlaubt sind und schon treten wir auf den Platz hinaus. 20 Meter bis zu den Baracken, 30m bis zur Grenze, und auf der anderen Seite des Platzes thront abweisend das nordkoreanische Gebäude: Alle Vorhänge sind zugezogen, überall sind Kameras montiert, am Eingang steht ein Soldat Wache (die US-Soldaten nennen ihn «Bob»). Auf unserer Seite sind rund ein Dutzend südkoreanische und amerikanische Soldaten im Einsatz, «for your protection», wie uns versichert wird. Vorwärts Marsch und wir dürfen in die UNO-Baracke rein. Der mittlere Sitzungstisch steht genau auf der Grenzlinie, d.h. die hintere Hälfte der Hütte steht in Nordkorea! Vor dem «Hinterausgang» stehen aber zwei ROK-Soldaten in furchteinflössender Taekwondo-Kampfstellung, denen man auch von dieser Seite her nicht zu Nahe kommen will.
Die Soldaten erlauben uns noch kurz ein paar Fotos, dann führen sie uns zurück. Auf der Rückfahrt im Bus beginnt sich die Spannung zu lösen, auch beim amerikanischen Soldaten, der nun Fragen beantwortet.
Panmunjeom ist ein absurder und beklemmender Ort, und wir haben jetzt eine leise Ahnung davon, was es wohl noch alles brauchen wird, bis dieses Land wieder zusammenfindet.