Am 26. April nahmen wir den Namsan in Angriff, das ist so etwa der Üetliberg von Seoul. Auf dem Planetenweg, äähh, nein, auf dem «North Namsan Circuit» stiegen wir auf den südlichen Hausberg von Seoul. Die Stadtmauer, die sich ebenfalls über diesen Hügelkamm zieht, hatte früher einmal die Stadt gegen Süden abgeschlossen und beschützt, doch heute haben die Häuser den Namsan umzingelt, direkt unter der Mauer liegt Itaewon und dahinter zieht sich das Häusermeer bis zum Han-Fluss und darüber hinaus.
Wie es sich für einen Hausberg gehört, steht auf dem Gipfel ein Aussichtsturm. Beim N Seoul Tower ist aber vermutlich schon das 5-stöckige Shoppingcenter im Fuss des Turms höher als der Üetlibergturm. Auf ungefähr halber Höhe befinden sich drei Stockwerke mit Aussichtsterrasse, Souvenirshop und Drehrestaurant. Mit seinen 236m Höhe ist der Turm ein Wahrzeichen von Seoul und ist von fast jedem Ort in der Stadt zu sehen.
Es scheint, dass wir ein Faible für Städte mit solchen Türmen haben (siehe Auckland und Toronto), jedenfalls mussten wir auch hier hinauf zur Aussichtsterrasse, um ein paar Fotos durch die dreckigen Scheiben zu schiessen. Die Aussicht war wiklich imposant, denn die Häuser – und mitunter Hochhäuser – erstrecken sich bis zum Horizont, egal in welche Richtung man schaut.
Am Fuss des Turms – so hat es sich etabliert – hängen Seouls Liebespaare gerne «Locks of Love» auf: Vorhängeschloss kaufen, mit Namen und Herzli beschriften, am Geländer der Aussichtsplattform festmachen, Schlüssel fortwerfen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Liebe ewig hält, ganz nach dem mittelhochdeutschen Vorbild von «Du bist mîn, ich bin dîn […] verloren ist das slüzzelîn». Jetzt wäre Seoul aber nicht Seoul, wenn das Schlösser-Aufhängen nicht genaustens reglementiert wäre! Wo kämen wir denn da hin mit der Statik, wenn all die Romantiker ihre 100 Gramm Eisen irgendwo an die Terrasse hängen würden. Also gibt’s hier «Heart Lock Zones» und strenge Vorschriften:
Und wenn wir schon bei der Organisation sind: Es gibt sicher U-Bahnen mit besserer Signaletik als die Seoul Metro, aber die Stationspläne, speziell bei den Umsteigestationen, die sind super (wenn man sie denn findet). Und vor allem sind die Pläne jeweils so gedreht, dass es für den Betrachter stimmt. Gerade für uns Koreanisch-Analphabeten ist das extrem hilfreich, wir gehen auch so noch oft genug in die verkehrte Richtung…
Muss man mal auf die Metro warten, dann hat’s an den Stationen überall Fernsehmonitore. Diese zeigen neben Werbung auch immer wieder mal ein Notfallvideo: Wie man sich bei Feuer/Rauch zu verhalten hat (Schutzmaske anziehen), oder wie man einen Verletzten wiederbelebt (CPR). Die entsprechenden Hilfsmittel stehen an jeder Station griffbereit in einem Glaskasten. Jede Unterführung und U-Bahn-Station ist bei den Eingängen auch gross und rot als «Shelter» angeschrieben, immer wieder eine kleine Erinnerung, dass der «bö Fei» im Norden mit seinen Raketen zeuselt.
Um das Thema Eisenbahn abzuschliessen: Natürlich musste ich auch mal an den Hauptbahnhof gehen, um Koreas TGV, also den KTX zu fotografieren. Bei dieser Gelegenheit bin ich auch gerade den beiden Maskottchen der kommenden Winter-Olympiade begegnet, welche ja bekanntlich in Südkorea stattfinden wird.
Das nächste grosse politische Ereignis sind die Präsidentschaftswahlen, die am nächsten Dienstag, 9. Mai entschieden werden. Nicht weniger als 15 Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge der abgesetzten Geun-hye Park. Schon seit ein paar Wochen hängen überall Plakate und plärren mobile Lautsprecher, vor ein paar Tagen haben wir auch noch Wahlwerbung in den Briefkasten erhalten. Läuft also alles gleich wie zuhause.
Echt visionär sind die Leute, wenn es ums Thema Geschichte geht. Für uns ist diese immer rückwärtsgewandt: Wir graben in der Vergangenheit und fragen uns, wie die Leute wohl vor 400 Jahren gelebt hatten, womit sie sich wohl befasst hatten. Die Einwohner von Seoul haben sich hingegen gefragt, wie wohl in 400 Jahren die Menschen in die heutige Zeit zurückschauen werden. Um sicherzustellen, dass diese Frage dann in ferner Zukunft auch richtig beantwortet werden kann, haben sie bei der 600-Jahre-Hauptstadt-Feier 600 Gegenstände in die Millenium Time Capsule verstaut und diese in einem futuristischen Monument einbetoniert. Am 23. November 2394, bei der 1’000-Jahr-Feier, soll sie dann wieder geöffnet werden. Ist doch eine super Idee, oder? Was würdest Du in eine solche Kapsel stecken? Und welche Schlüsse werden die Menschen in 400 Jahren daraus ziehen?