Am Donnerstag fuhren wir noch einmal mit der Maglev zum Flughafen, diesmal aber nur mit einem Einzelbillet, denn wir liessen Shanghai hinter uns und flogen nach Kunming, der Provinzhauptstadt von Yunnan. Damit begann der achte und letzte Teil unserer grossen Reise. Weil wir erst am Abend ankamen, sahen wir von Kunming ausser der näheren Hotelumgebung noch nicht viel. Doch was wir sahen, gefiel uns: Kunming wirkte wieder viel aufgeräumter als Shanghai, es erinnerte uns fast ein wenig an Beijing.
Schon am nächsten Morgen wurden wir von unserem Reiseleiter abgeholt und ins Auto verfrachtet. Nun fuhren wir fünf Stunden westwärts, durchs hügelige Yunnan. Fürs Mittagessen stoppten wir in Yunnanyi, jenem Ort, der es schon dreimal zu geschichtlicher Erwähnung gebracht hatte. Zum ersten hatte der Ort als Namensgeber für die Provinz gedient: Der Legende nach soll ein chinesischer Kaiser einmal eine aussergewöhnlich schöne Wolke gesehen haben, worauf er umgehend Reiter losschickte, um deren Ursprungsort aufzuspüren. Diese fanden das Dorf und tauften es Yun Nan Yi – Ort der Schönen Wolke im Süden. Zum zweiten war dieser Ort über lange Zeit ein Stützpunkt auf der Tee- & Pferde-Strasse gewesen. Ähnlich wie die Seidenstrasse hatte diese dazu gedient, Tee, Opium und weitere Waren aus dem nahen Burma, aus Thailand und aus dem südlichen Yunnan nach Tibet, Sichuan und Ostchina zu transportieren. Die Karawansereien in Yunnanyi hatten zu den grössten gehört, sie hatten Pferdezuchten mit mehreren hundert Pferden betrieben und waren in der Lage gewesen, Essen und Futter für Karawanen mit bis zu tausend Pferden bereitzustellen. Ein drittes Mal hatte der Ort Schlagzeilen gemacht, als er im zweiten Weltkrieg als Stützpunkt der US-amerikanischen Luftwaffe diente, die von hier aus als «Flying Tigers» die japanischen Invasoren in Ostchina bekämpft hatten. Nach einem kurzen Bummel durch die Dorfgasse von Yunnanyi fuhren wir am Nachmittag weiter nach Weishan, wo wir nach dem Hotelbezug die malerische Altstadt besichtigten. Den Abend beschlossen wir dann in einem lokalen Strassenrestaurant mit Dumplings und gebratenen Nudeln.
Den Samstagmorgen begannen wir mit einer Wanderung auf dem Weishan-Berg. Der dreistündige Rundkurs führte an mehr als zwanzig Tempeln vorbei, von denen wir dank unserem enthusiastischen Reiseführer eine ganze Menge besichtigten und dabei ein wenig über die in China praktizierten Religionen (Taoismus, Buddhismus etc.) erfuhren. Zurück im Auto fuhren wir eine gute Stunde bis nach Donglianhua, einem Dorf der muslimischen Hui Minderheit. Hier stärkten wir uns erst einmal mit einem feinen Mittagessen im Innenhof eines schönen Holzhauses und anschliessend besichtigten wir die Residenz von Ma Ruji. Auch diese Familie hatte einen Tee-& Pferde-Strassen-Stützpunkt betrieben, und zwar noch bis in die 1950er Jahre. Erst als Mao an die Macht kam, hatte die Familie ihr Geschäft aufgegeben und war nach Thailand geflüchtet. Schon eindrücklich, dass hier noch vor 65 Jahren Warentransporte auf diese Art stattfanden, bzw. wie schnell der motorisierte Land- und Luftverkehr das Transportwesen in dieser entlegenen Region komplett verändert hat. Scheinbar verkehrt sogar heute noch eine regelmässige Pferdekarawane, allerdings nur im nach wie vor unwegsamen Grenzgebiet zwischen Burma und China.
Kurz nach Donglianhua waren auch wir wieder in der Moderne angekommen, nämlich als wir durch Dali fuhren, Yunnans zweitgrösster Stadt. Auf rund 2’200müM gelegen, hatten wir eine Kleinstadt erwartet, doch Dali hat knapp eine Million Einwohner. Wir hielten aber nicht, sondern fuhren gleich weiter nach Dali. Nein, das war kein Verschreiber, es gibt tatsächlich zwei Dalis, ein neues und ein altes. Während die Altstadt streng nach Feng-Shui zwischen Bergen und See erstellt worden war, ging man bei der Neustadt weit pragmatischer vor und setzte sie in die grosse Ebene am Ende des Sees. Zum Glück, denn es wäre äusserst schade gewesen, wenn man das alte Dali einfach platt gemacht hätte. Davor hatten aber selbst die sonst unzimperlichen Chinesen Respekt, schliesslich war Dali im 10. Jahrhundert mal die Hauptstadt vom Bai-Königreich gewesen. Heute präsentiert sich das alte Dali als touristisch herausgeputzte Altstadt, wo sich Shops, Bars und Restaurants aneinanderreihen. Ziemlich lachen mussten wir, als wir die katholische Kirche von Dali besichtigen gingen, denn ein Haus mit traditionellem chinesischen Giebel und ebensolchem Türmchen hätten wir definitiv nicht erwartet. Einzig das Kreuz auf der Turmspitze lieferte einen Hinweis auf die Funktion des Hauses. Von Dali fuhren wir ins nahe Xizhou und dort in unser Hotel, welches idyllisch neben Reisfeldern lag. Und ein feines Sichuan-Restaurant war auch nicht weit…