Reisetagebuch von Christian Kaiser

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水稻梯田到底 – Reisterrassen zum Abschluss

Am Sonntagnachmittag kamen wir in Xinjie an. Hier in dieser abgelegenen Hügellandschaft liegen die berühmten Reisterrassen von Yuanyang. Ende Juni stehen die Reispflanzen schon recht hoch in den Paddies und für die richtig spektakulären Fotos waren wir eigentlich zu spät dran. Wir fanden’s aber trotzdem super eindrücklich, all diese terrassierten Hänge. Vom tiefsten bis zum höchsten Reispaddy sind es um die 3’000 Stufen, die ältesten sind tausend Jahre alt. Eine sehr idyllische Landschaft, jedenfalls für die Touristen; für die Reisbauern weniger, die gehen nämlich nach wie vor zu Fuss auf ihre Felder, und bei der Ernte müssen sie ihren Reis ins Dorf hochschleppen. Eine Mechanisierung ist bei diesen steilen, kleinteiligen Feldern fast unmöglich.

Zum Glück hatten wir am Sonntagabend noch ein paar Fotos geschossen, denn am Montag standen wir zwar um viertel nach fünf auf, doch ergaben sich wegen des schlechten Wetters keine schönen Sonnenaufgangsfotos. Also machten wir uns einen ruhigen Tag, denn auch die Marktbesichtigung in Xinjie machte bei strömendem Regen nicht so richtig Spass.

Für’s Mittagessen gingen wir ins Dorfrestaurant, und das wurde dann die Grenzerfahrung des Tages. Schon im Nord-Yunnan hatten wir festgestellt, dass das Essen «einfacher» wurde, je weiter man sich von den Städten entfernte, und so weit abgelegen wir hier in Xinjie waren wir noch nie. In den traditionellen chinesischen Restaurants ist es üblich, dass man bei der gekühlten Auslage sein Essen auswählt, worauf dieses dann gleich zubereitet wird. Und was da heute in der Truhe lag, das wäre in Europa nicht mal mehr als Gammelfleisch durchgegangen. Wir versuchten also, so vegetarisch wie möglich zu wählen, aber unser Guide bestellte noch einen Innereienteller dazu. So bedurfte es beim Essen dann doch einer gewissen Überwindung, zumal auch Dutzende von Fliegen ständig um unseren Tisch surrten. Frank und unser Fahrer versicherten uns zwar immer wieder, dass das Essen hier gut sei, aber Carmen hatte schon lange zuvor die staatliche Hygieneplakette erspäht, welche das Restaurant nur mit einem «C» auszeichnete («A» ist das beste, «C» das schlechteste). Dass gleich 20m neben dem Restaurant auf offener Strasse eine Sau geschlachtet wurde, half auch nicht unbedingt…

Am Nachmittag fanden wir dann doch noch ein kurzes nebel- und regenfreies Fenster, um von einem Aussichtspunkt aus einen exzellenten Rundblick zu geniessen und ein paar brauchbare Fotos zu schiessen, denn am nächsten Tag mussten wir bereits wieder die Rückfahrt nach Kunming antreten.

Die siebenstündige Autofahrt unterbrachen wir aber noch in Shilin, was auf Deutsch so viel wie Steinwald heisst. Und genau diesen gingen wir nach dem Mittagessen anschauen. Beim Steinwald handelt es sich um ein Karstgebiet, in welchem sich durch Wasser und Erosion über die Jahrtausende ganz spezielle Gesteinsformen herausgebildet haben. Der Ort hat eine geheimnisvolle Aura und lässt sich über ganz verschlungene Wege erkunden. In den skurrilen Fels-Skulpturen lassen sich mit etwas Fantasie diverse Figuren erkennen. Zum Glück war das Wetter nicht ganz so gut, sonst hätte es wohl noch zwei Millionen mehr chinesische Touristen gehabt. Denn da die Anlage als AAAAA-Cultural-Site gilt, legt ganz sicher jeder Yunnan-Tourist hier einen Stopp ein (so auch wir).


Zurück in Kunming verabschiedeten wir uns von Guide und Fahrer, und so langsam machte sich eine etwas melancholische Stimmung breit: Noch zwei Übernachtungen in Kunming, dann würden wir uns auch von China verabschieden müssen, und mit dem Rückflug in die Schweiz würde unsere lange, schöne Reise zu Ende gehen.


Epilog

Mit diesem Bericht geht auch dieser Reise-Blog zu Ende, nach 68 Berichten, 66 Kommentaren und bis heute mehr als 5’400 Seiten-Aufrufen. Damit ist das Projekt ganz gut gelungen, glaube ich. Ich hoffe, das Lesen hat Euch allen genauso viel Spass gemacht, wie mir das Schreiben.

Adiós, good bye, 안녕, ni sa mode, 再见 und tschüss!

穴居燕子和两龙 – Höhlen-Schwalben und Doppelte Drachen

Nachdem wir am Freitag von Shangri-la nach Kunming zurückgeflogen waren, folgte nun der zweite Teil unserer Yunnan-Reise. Wir machten uns auf in den Süden. Rasch zeigte sich, dass dieser noch weniger touristisch war als der Norden. Wir sahen kaum einen anderen Westler und je kleiner und abgelegener die Orte waren, desto mehr wurden wir von den Einheimischen neugierig beobachtet oder auch unverhohlen angestarrt.

Zuerst fuhren wir nach Tonghai, wo wir auf dem Xiu Shan Berg die lauschigen Gärten, Tempel und Pavillons anschauten, die verschiedene frühere Könige oder Fürsten hier erbauen lassen hatten. Nach diesem friedlichen Ausflug gingen wir essen, einmal mehr in ein muslimisches Restaurant. Auf die Frage, weshalb er diese jeweils vorziehe, erklärte unser Guide, dass bei den Muslims die Hygiene viel besser sei als bei den Han-Chinesen. Da hatten wir natürlich nichts einzuwenden, denn auch in diesen Lokalen ging es schon viel einfacher zu und her, als noch in Shanghai oder Kunming.

Geschäftiges Treiben in Jianshui

Am Nachmittag fuhren wir weiter nach Jianshui, hier bezogen wir ein Zimmer in einem richtig fetten chinesischen Hotelpalast: Vordergründig alles sehr bonzig (3-geschossige Eingangshalle, überall stillose Gold- und Marmor-Imitate), aber im Zimmer lief die Dusche nicht ab und der Safe war kaputt. Störte uns aber nicht gross, denn wir gingen nun den Konfuzius-Tempel besichtigen.

Wunschplaketten im Konfuzius-Tempel

Als Frank uns fragte, ob er uns noch eine lokale Tofu-Fabrik zeigen solle, sagten wir natürlich nicht nein. (Alles, nur keine weiteren Tempel!) Selbstverständlich hatten wir keine Ahnung, wie denn Tofu eigentlich hergestellt wird, aber da die Firma gemäss Frank viele Hotels und Restaurants belieferte, musste es sich um ein grösseres Unternehmen handeln. Doch er führte uns in ein altes Viertel, das noch weitgehend aus ein- und zweistöckigen Lehmhäusern bestand. In einem Raum, der eher wie eine Garage aussah, sassen dann auf kleinen Plastikstühlen vier Frauen auf dem nassen Steinboden, inmitten von unzähligen Schüsseln und Blechen. Aus einer weissen Masse formte jede von ihnen von Hand kleine Vierecke, legte sie auf ein Blech, und wenn dieses voll war, wurde es mit Ziegelsteinen beschwert, um das Wasser aus dem Tofu zu pressen. Dieses wiederum stammte aus einem nahegelegenen Ziehbrunnen. Die «Garage» war aber nur eine Dependance der Manufaktur, denn anschliessend besichtigten wir noch das «Hauptgebäude», wo weitere Frauen die gleiche Tätigkeit ausübten. Bis zu 1’000 Tofu-Quadrate pro Stunde schafft eine Arbeiterin.

Tofu on the Rocks

Abschliessend besuchten wir noch die Residenz der Familie Zhu. Dieses stattliche Anwesen der damals reichsten Familie hatte einmal ein Drittel der ganzen Stadtfläche ausgemacht, es umfasst hunderte von Zimmern, 12 Innenhöfe, ein eigenes Theater und einen grossen Garten mit Teich. Der Stammbaum dieser erfolgreichen Händlerfamilie war während der Kulturrevolution abrupt beendet worden und auch die prunkvollen Gebäude überstanden jene Zeit nicht unbeschadet. Heute geben zwar auch viele Chinesen zu, dass jene Zeit «nicht gut» war, aber so richtig darüber reden können/dürfen/wollen sie noch nicht.

Gänge und Innenhöfe durchziehen die Residenz der Familie Zhu

Am Sonntag besichtigten wir die Doppelte Drachenbrücke, eine imposante Bogenbrücke aus der Qing-Dynastie. Auf chinesisch heisst sie «shuāng lóng qiáo» und nicht etwa «liǎng lóng qiáo» wie ich es zu radebrechen versuchte, und was bei unserem Fahrer minutenlanges, herzhaftes Lachen auslöste («liǎng» steht für «zwei» in Aufzählungen, aber vielleicht auch noch für etwas ganz anderes?).

Auch ein Flösser muss mal telefonieren (bei der Doppelten Drachenbrücke)

Die nächste Touristen-Attraktion, das «scenic village Tuanshan» war dann eine Ansammlung von heruntergekommenen alten Hofhäusern, in denen das Zhang-Volk in ärmlichen Verhältnissen lebt. Chinas Umgang mit ihren über 50 Minderheiten scheint etwas spröde: Einerseits «hätscheln» sie diese Leute, geben ihnen einfachere Aufnahmechancen an die Universitäten und lassen sie in ihren Dörfern gewähren, andererseits zeigen sie sie als Touristen-Attraktionen her wie in einem Zoo oder einem lebendigen Ballenberg. «Schaut nur, wie gut wir zu diesen Leuten sind», scheint die offizielle Message zu sein, doch nur schon der Ausdruck «Minorities» zeigt ja, dass es sich bei diesen Völkern eben doch um Fremdkörper handelt, die nicht so richtig dazugehören.

Am Eingang zu den Schwalbenhöhlen wimmelt er nur so von Vögeln

Als nächstes fuhren wir zu den Schwalbenhöhlen. Dieses Höhlensystem ist dafür bekannt, dass es von Schwalben als Nistplatz aufgesucht wird. So wimmelte es dann im riesigen Höhleneingang nur so von diesen Vögeln, und erstaunlicherweise flogen sie recht weit in die immer dunkler werdende Höhle hinein. Wie in diesem Blog schon früher erwähnt, essen die Chinesen ja wirklich alles und deshalb erstaunt es nicht weiter, dass einmal jemand auf die Idee gekommen ist, auch Schwalbennester zu verspeisen. Wobei genau genommen nicht das Nest gegessen wird, sondern die eingetrocknete Spucke der Vögel, welche die Zweige des Nests zusammenhält. Klar, dass diese Delikatesse hier zum Verkauf angeboten wurde, doch war es nicht in erster Linie der horrend hohe Preis, der uns vom Kauf abhielt.

Beim Eingang zur Höhle präsentierte ein unerschrockener Freikletterer, wie man so eine Höhlenwand (barfuss, mindestens 6c) hochklettert, um die Nester herunterzuholen. Für uns Nicht-Nestsammler stand dann glücklicherweise ein asphaltierter Weg zur Verfügung, um weiter in die Höhle hineinzukommen. Dieser führte dem kleinen Fluss entlang, welcher in die Höhle hineinfloss. Als wir die lärmende Vogelschar hinter uns gelassen hatten, stiegen wir eine Treppe hoch, um die 80-100m hohe Grotte aus der Höhe zu betrachten. Die verschiedenen Stalagmiten und Stalaktiten waren effektvoll mit bunten Lampen beleuchtet und zeigten eindrucksvoll die Grösse der Halle. Wir waren jedenfalls tief beeindruckt von dieser faszinierenden Unterwelt. Schliesslich erreichten wir die Stelle, wo der Fluss über eine tosenden Wasserfall in der schwarzen Tiefe verschwand. Und wir wären ja nicht in China, wenn nicht zuhinterst in der Höhle ein «Fantasy Land» eingerichtet worden wäre: ein kleines Höhlen-Disneyland mit Irrgarten, Restaurant und Spielautomaten, wo man Plüschtiere gewinnen konnte. Für den Rückweg aus der Höhle raus stand dann ein als Drache verkleidetes Motorboot zur Verfügung.

Bizarre Kunstwerke: Die Schwalbenhöhle ist effektvoll ausgeleuchtet

Nach dem Mittagessen fuhren wir von den Schwalbenhöhlen (1’300müM) nach Lengdun (240müM). Als wir nach vier Stunden bei einem kleinen Früchtemarkt aus dem klimatisierten Auto stiegen, haute es uns fast um: draussen war es tropisch heiss und feucht. Lengdun liegt am Ufer des Roten Flusses, welcher schon 80km flussabwärts die Genze zu Vietnam bildet und später durch Hanoi fliesst. Die frischen Mangos vom Markt schmeckten hervorragend, doch waren wir dennoch froh, diesem Klima wieder entfliehen zu können. Unsere Reise führte nämlich auf der anderen Seite des Flusses wieder bergauf, bis nach Xinjie (1’850müM). Und wie’s dort weiterging, erfahrt ihr im nächsten Bericht.

Frische Mangos, Bananen und Ananas am Markt von Lengdun

བོད་ཡིག གང་བྱུང་མང་བྱུང གྲོང་གསེབ – Die tibetische Baustelle

Kurz nach unserer Abfahrt in Qiautou begann sich die Landschaft zu verändern: Die Hänge waren nicht mehr terrassiert und die Vegetation wurde karger. Kein Wunder, schliesslich führte die Strasse ständig bergaufwärts und bald waren wir auf 3’300müM angelangt. Trotz der grossen Höhe hatte es immer noch Wälder und am Horizont erhoben sich majestätische Berge. Auf den Wiesen weideten Pferde, Yaks und Schweine. Die verstreuten Häuser hatten nun einen ganz anderen Baustil: Sie waren breit, mit massiven, nach unten dicker werdenden Steinmauern und mit dicken Holzpfeilern, welche die mit Natursteinplatten bedeckten Giebeldächer trugen. Vielerorts flatterten lange Reihen von farbigen Fähnchen im Wind. Ohne Zweifel waren wir nun in Tibet angelangt.

Tibetische Landschaft

Bald öffnete sich das Tal und in der breiten Hochebene vor uns lag Shangri-La. Ursprünglich hatte die Stadt Zhongdian geheissen, doch um mehr Touristen anzuziehen, war sie 2001 umbenannt worden, nach der paradiesischen Stadt aus dem Buch «Lost Horizon» von James Hilton.

Unter dem Titel «Go West» hatte die chinesische Regierung vor ein paar Jahren die bessere Erschliessung von Chinas Westen beschlossen (sicher auch mit der Absicht, so den Einfluss auf Tibet zu erhöhen). Diese Modernisierung ist in Shangri-La zur Zeit in vollem Gang: In der Stadt, die erst 1970 erstmals von einem Auto erreicht wurde, wird zur Zeit eine 8-spurige Umfahrungsstrasse durch die Ebene gebaut. Gleichzeitig werden die beiden Innenstadt-Ringe erneuert, entsprechend gross ist das Verkehrschaos. Mangels alternativen Routen werden die Abschrankungen von den Fahrzeugen einfach ignoriert und so holpern die Autos zwischen Baggern, Lastwagen und Löchern mitten durch die Baustellen. Erst im alten Stadtzentrum entflieht man diesem Chaos. Doch auch hier ist vieles unfertig: Im Januar 2014 waren zwei Drittel der Altstadt einem verheerenden Grossbrand zum Opfer gefallen. Zwar ist inzwischen das meiste wieder aufgebaut worden, aber die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Zum Glück wurden die Holzhäuser wieder im gleichen Stil erstellt, denn die tibetischen Häuserfronten mit ihren unzähligen feinen Holzschnitzereien sind eindrücklich schön. Durch den Brand und den anschliessenden Einbruch beim Tourismus hatten aber viele Familien ihre Lebensgrundlage verloren und daraufhin die Stadt verlassen. So stehen heute viele Gebäude leer, Läden sind geschlossen oder haben Schlussverkauf. Eine ziemlich ironische Situation: Einerseits wird massiv in die Infrastruktur von Shangri-La investiert, andererseits wandern die Bewohner ab. Böse, wer dahinter eine Strategie der Regierung zur «Han-isierung» der Stadt vermutet.

Die neue Altstadt von Shangri-La

In Shangri-La erhielten wir einen guten Einblick in die tibetische Kultur. Wir assen einen feinen Hot Pot mit viel Yak-Fleisch, probierten den hier berühmten Yak-Butter-Tee (gruuusig!) und am zweiten Abend kriegten wir ein «tibetisches» Yak-Steak, das aber ausschliesslich für die westlichen Touristen zubereitet wird. Nach zwei Monaten mit Stäbchen essen war es richtig ungewohnt, mit dem Messer ein grosses Stück Fleisch zerteilen zu müssen. Aber fein war’s! Und zu trinken gab’s natürlich Shangri-La Beer, welches hier in der Stadt in der ersten Kleinbrauerei Chinas hergestellt wird. Gegründet wurde die Brauerei 2009 von Songtsen Gyalzur, einem in der Schweiz aufgewachsenen Tibeter, der nach Shangri-La ausgewandert war. Für den Aufbau der Brauerei holte er Schweizer Hilfe und daraus entwickelte sich schliesslich eine Städtepartnerschaft: Deshalb prangt nun auf jeder «Black Yak»-, «Tibetan Pale Ale»- oder «Super Nova»-Flasche dezent ein «Arosa»-Logo.

Tempel und Gebetsmühle auf dem Schildkrötenhügel

Neben der Altstadt und den Tempeln auf dem Schildkrötenhügel besichtigten wir auch das 300 Jahre alte Kloster Ganden Sumtseling Gompa. Es ist das grösste tibetisch-buddhistische Kloster in Yunnan und thront majestätisch auf einem kleinen Hügel am Rand der Stadt. Auf der langen Treppe zum Kloster waren wir ganz schön ins Schnaufen gekommen: die dünne Höhenluft hatte sich rasch bemerkbar gemacht. Unter kundiger Anleitung unseres Guide besichtigten wir dann den Haupttempel und die verschiedenen Gebets- bzw. Lesehallen. Buddhisten spenden ihren verschiedenen Göttern Geld und Naturalspenden, und zwar auf für uns ungewohnte Art: Vor jeder Statue liegen Früchte und mit Reis gefüllte Schalen, stehen thailändische Red-Bull-Büchsen und Schnapsflaschen. Überall liegen Geldscheine herum, sogar in den Ritzen an den Wänden stecken Münzen.

Hochzeitsfotos mit AAAAA-Kulisse

Am Nachmittag machten wir dann noch eine «kurze» Velotour an den nahen Napa-See. Dieser liegt 10km neben der Stadt in einer weiten Ebene, wo Pferde grasen, Tagesausflügler sich vor ihren Jurten fläzen und Hochzeitspaare für Fotos posieren. Der Ausflug wäre ganz idyllisch gewesen, hätten wir auf dem Hinweg nicht ein Paradebeispiel vom chinesischen «das Gesicht wahren» erlebt. Unser Guide hatte sich nämlich verfahren, und anstatt das einfach zuzugeben, versprach er uns alle paar Minuten, dass wir «jetzt dann gleich» am Ziel seien. Nach fast zwei Stunden Irrfahrt durch die Baustellen der Stadt waren wir zwar auf einer schönen grasigen Ebene angekommen, aber da war weit und breit kein See. Frank erklärte uns im vollen Ernst, dass dieser verschwunden sei; abgelaufen, ausgetrocknet. Vor zwei Jahren sei genau hier noch ein See gewesen. Aus Anstand (und weil ich aufgrund meines Gemütszustands keine freundlichen Worte gefunden hätte) unterliess ich es, ihn auf die leichte Geländeneigung und die damit verbundene Unmöglichkeit seiner Aussage hinzuweisen. Nun ja, eine halbe Stunde später hatten wir den See dann gefunden: Er lag an der tiefsten Stelle der Ebene…

Tatsächlich, ein See!

顽皮的猴子和跳跃虎 – Freche Affen und springende Tiger

Am Sonntag morgen fuhren wir noch rasch an den nahen Erhai-See (damit wir den abhaken konnten), danach folgte die zweistündige Fahrt zum Shibao-Berg. Hier gab es eine Felswand, an die sich ein paar Tempel und Statuen schmiegten, welche es natürlich zu besichtigen galt. Einmal mehr zeigte sich, dass das Interesse an Tempeln bei unserem Guide stärker ausgeprägt war als bei uns, doch wir gingen tapfer mit. Eine weitere Attraktion dieses Ortes waren die wilden Affen, die jede Menschenscheu vermissend die Gegend unsicher machten. Beim anschliessenden Snack an der Bushaltestelle musste man aufpassen, dass die Viecher einem nicht die chinesischen Pommes frites vom Teller klauten. Mit einer kurzen Busfahrt gelangten wir anschliessend auf den Gipfel des Shizong-Bergs, wo es ganz in der Nähe Figuren zu besichtigen gab, die vor 1’200 Jahren aus dem Fels gehauen worden waren. Nach diesem Rundgang wanderten wir dann vom Berg runter zum Dorf Shaxi. Zu unserer Verwunderung war der Wanderweg durchgehend gepflastert und mit Stufen versehen. In Shaxi angelangt, genossen wir ein spätes Mittagessen und gingen dann auf Stadtbesichtigung. Das Interessante an Shaxi ist, dass dieses einst heruntergekommene Dorf 2001 auf eine Initiative der ETH Zürich hin im originalen Stil wiederaufgebaut bzw. restauriert wurde. Dieses Projekt war so erfolgreich, dass es 2005 von der UNESCO ausgezeichnet wurde. Shaxi selber wurde von der kommunistischen Partei Chinas umgehend zum Modell-Dorf erklärt. Und wir erklären hiermit den Kaffee von 叶子的店 zum besten von ganz China.

Nach einer Übernachtung in Shuhe gingen wir Lijiang besichtigen. Leider war es bewölkt, weshalb uns ein Blick auf den 6’000m hohen Jade-Drachen-Schneeberg verwehrt blieb. Sowohl Lijiang als auch Shuhe sind sehr touristisch und werden vorwiegend von chinesischen Touristen besucht. Die Altstadtgassen sind lieblich, weil sie von Kanälen durchflossen werden. Doch leider hatte mal ein Restaurant die Idee, mit Livemusik mehr Kunden anzulocken. Weil das funktioniert hat und weil die Chinesen super im Kopieren sind, plärrt es jetzt abends aus allen Lokalen. In der Innenstadt gibt es nun kaum einen Tisch, der nicht mindestens aus drei unterschiedlichen Quellen beschallt wird. Zum ersten Mal in China kriegten wir in Shuhe mal so richtig grässliches Essen aufgetischt.

Leider ging es am nächsten Morgen ebenso grässlich weiter: Es regnete nämlich heftig. Was nicht weiter tragisch gewesen wäre, wenn unser Reiseprogramm nicht gerade an diesem Tag unsere zweitägige Wanderung durch die Tigersprung-Schlucht vorgesehen hätte. Zwar hofften wir auf der zweistündigen Autofahrt nach Qiautou, dass der Regen noch rechtzeitig aufhören würde, doch vergeblich. Um halb zwölf wanderten wir los, mit Regenschutz und -hose, vor uns ein Anstieg von 1’000 Höhenmetern und eine graue, trostlose Gegend. Kurz nach dem Start verriet uns Frank, unser Guide, dass zur Zeit gerade eine Autobahn und eine Eisenbahnlinie durch die Schlucht gebaut würden, was erklärte, weshalb unser «Wanderweg» eine lehmige Baustellen-Zufahrt war, auf der alle paar Minuten ein dreckiger Lastwagen vorbeirumpelte. Und weil der Weg eben zum Bauen gebraucht wurde, hatten die Leute kurzerhand einen neuen Wanderweg gebaut, leider einen, der noch ein paar hundert zusätzliche Höhenmeter erforderte. Der Aufstieg war so streng, dass wir in Kürze völlig durchgeschwitzt waren. Da wir nur einen Tagesrucksack mit wenig Wechselwäsche dabei hatten (unsere Koffer würden wir erst am Folgetag wieder sehen) und keine Ahnung hatten, in welchem Zustand das Gasthaus in der Schlucht sein würde, war unsere Motivation ziemlich auf den Nullpunkt abgesunken. Und so langsam kamen uns auch Sicherheitsbedenken, denn der Weg war schlüpfrig und die Schlucht steil… Nach 2.5h Aufstieg im Dauerregen gelangten wir zum Naxi Family Guesthouse, wo der Mittagshalt vorgesehen war. Hier überredeten wir unseren Guide dazu, für den zweiten Teil eine Transportmöglichkeit zu organisieren (er war darüber auch nicht unglücklich). Zum Glück klappte das und so erreichten wir das Tea Horse Guesthouse auf angenehmerem und sicherem Weg. Und den Nachmittagstee konnten wir sogar wieder in trockenem Zustand geniessen.

Am Mittwochmorgen war die Tigersprung-Schlucht zwar noch verhangen, doch es regnete nicht mehr. Also marschierten wir nach dem Zmorge los. Mit dem Wetter hatte sich auch unsere Stimmung gebessert und dieser zweite Wandertag war wirklich schön. Die Schlucht ist sehr eindrücklich, man kann das auf Fotos gar nicht richtig festhalten: Der Yangtse rauscht auf rund 1’750müM durch die Schlucht, unser Höhenweg liegt auf 2’400müM und die höchsten Bergflanken sind fast 6’000m hoch. Nach rund 3h Wanderzeit erreichten wir bereits Tina’s Guesthouse und damit den Abschluss unserer Tour. Auf der Rückfahrt stoppten wir noch an der Stelle, die der Schlucht den Namen gegeben hat: Ähnlich wie am Rheinfall gibt es hier eine Stromschnelle, in deren Mitte ein grosser Fels liegt. Die Schlucht ist hier so schmal, dass (der Legende nach) ein Tiger mit zwei Sprüngen über den Fels auf die andere Seite gelangen kann.

Wir aber blieben auf der Nordseite und assen in Qiautou in einem tibetischen Gasthaus Zmittag. Und danach fuhren wir nordwärts, tiefer in den autonomen Bezirk Dêqên hinein, welcher kulturell nicht mehr zu China, sondern schon zu Tibet gehört. Doch dazu später mehr.

在狂野的西部 – Im wilden Westen

Am Donnerstag fuhren wir noch einmal mit der Maglev zum Flughafen, diesmal aber nur mit einem Einzelbillet, denn wir liessen Shanghai hinter uns und flogen nach Kunming, der Provinzhauptstadt von Yunnan. Damit begann der achte und letzte Teil unserer grossen Reise. Weil wir erst am Abend ankamen, sahen wir von Kunming ausser der näheren Hotelumgebung noch nicht viel. Doch was wir sahen, gefiel uns: Kunming wirkte wieder viel aufgeräumter als Shanghai, es erinnerte uns fast ein wenig an Beijing.

Schon am nächsten Morgen wurden wir von unserem Reiseleiter abgeholt und ins Auto verfrachtet. Nun fuhren wir fünf Stunden westwärts, durchs hügelige Yunnan. Fürs Mittagessen stoppten wir in Yunnanyi, jenem Ort, der es schon dreimal zu geschichtlicher Erwähnung gebracht hatte. Zum ersten hatte der Ort als Namensgeber für die Provinz gedient: Der Legende nach soll ein chinesischer Kaiser einmal eine aussergewöhnlich schöne Wolke gesehen haben, worauf er umgehend Reiter losschickte, um deren Ursprungsort aufzuspüren. Diese fanden das Dorf und tauften es Yun Nan Yi – Ort der Schönen Wolke im Süden. Zum zweiten war dieser Ort über lange Zeit ein Stützpunkt auf der Tee- & Pferde-Strasse gewesen. Ähnlich wie die Seidenstrasse hatte diese dazu gedient, Tee, Opium und weitere Waren aus dem nahen Burma, aus Thailand und aus dem südlichen Yunnan nach Tibet, Sichuan und Ostchina zu transportieren. Die Karawansereien in Yunnanyi hatten zu den grössten gehört, sie hatten Pferdezuchten mit mehreren hundert Pferden betrieben und waren in der Lage gewesen, Essen und Futter für Karawanen mit bis zu tausend Pferden bereitzustellen. Ein drittes Mal hatte der Ort Schlagzeilen gemacht, als er im zweiten Weltkrieg als Stützpunkt der US-amerikanischen Luftwaffe diente, die von hier aus als «Flying Tigers» die japanischen Invasoren in Ostchina bekämpft hatten. Nach einem kurzen Bummel durch die Dorfgasse von Yunnanyi fuhren wir am Nachmittag weiter nach Weishan, wo wir nach dem Hotelbezug die malerische Altstadt besichtigten. Den Abend beschlossen wir dann in einem lokalen Strassenrestaurant mit Dumplings und gebratenen Nudeln.

Den Samstagmorgen begannen wir mit einer Wanderung auf dem Weishan-Berg. Der dreistündige Rundkurs führte an mehr als zwanzig Tempeln vorbei, von denen wir dank unserem enthusiastischen Reiseführer eine ganze Menge besichtigten und dabei ein wenig über die in China praktizierten Religionen (Taoismus, Buddhismus etc.) erfuhren. Zurück im Auto fuhren wir eine gute Stunde bis nach Donglianhua, einem Dorf der muslimischen Hui Minderheit. Hier stärkten wir uns erst einmal mit einem feinen Mittagessen im Innenhof eines schönen Holzhauses und anschliessend besichtigten wir die Residenz von Ma Ruji. Auch diese Familie hatte einen Tee-& Pferde-Strassen-Stützpunkt betrieben, und zwar noch bis in die 1950er Jahre. Erst als Mao an die Macht kam, hatte die Familie ihr Geschäft aufgegeben und war nach Thailand geflüchtet. Schon eindrücklich, dass hier noch vor 65 Jahren Warentransporte auf diese Art stattfanden, bzw. wie schnell der motorisierte Land- und Luftverkehr das Transportwesen in dieser entlegenen Region komplett verändert hat. Scheinbar verkehrt sogar heute noch eine regelmässige Pferdekarawane, allerdings nur im nach wie vor unwegsamen Grenzgebiet zwischen Burma und China.

Kurz nach Donglianhua waren auch wir wieder in der Moderne angekommen, nämlich als wir durch Dali fuhren, Yunnans zweitgrösster Stadt. Auf rund 2’200müM gelegen, hatten wir eine Kleinstadt erwartet, doch Dali hat knapp eine Million Einwohner. Wir hielten aber nicht, sondern fuhren gleich weiter nach Dali. Nein, das war kein Verschreiber, es gibt tatsächlich zwei Dalis, ein neues und ein altes. Während die Altstadt streng nach Feng-Shui zwischen Bergen und See erstellt worden war, ging man bei der Neustadt weit pragmatischer vor und setzte sie in die grosse Ebene am Ende des Sees. Zum Glück, denn es wäre äusserst schade gewesen, wenn man das alte Dali einfach platt gemacht hätte. Davor hatten aber selbst die sonst unzimperlichen Chinesen Respekt, schliesslich war Dali im 10. Jahrhundert mal die Hauptstadt vom Bai-Königreich gewesen. Heute präsentiert sich das alte Dali als touristisch herausgeputzte Altstadt, wo sich Shops, Bars und Restaurants aneinanderreihen. Ziemlich lachen mussten wir, als wir die katholische Kirche von Dali besichtigen gingen, denn ein Haus mit traditionellem chinesischen Giebel und ebensolchem Türmchen hätten wir definitiv nicht erwartet. Einzig das Kreuz auf der Turmspitze lieferte einen Hinweis auf die Funktion des Hauses. Von Dali fuhren wir ins nahe Xizhou und dort in unser Hotel, welches idyllisch neben Reisfeldern lag. Und ein feines Sichuan-Restaurant war auch nicht weit…