Seoul ist eine einzige Reizüberflutung. Dabei ist hier alles gut organisiert und die Leute sind sehr gesittet, aber es ist halt einfach alles sehr… nun ja, sehr koreanisch. Nicht, dass wir es anders erwartet hätten, aber die Absolutheit unseres Nichtverstehens ist dennoch erstaunlich. Wieviele Informationen man über die Schrift aufnimmt, wird einem erst bewusst, wenn man diese einmal nicht versteht. Und das ist ja schlimmer, als wenn man einfach etwas verpassen würde. Überall grinsen uns diese Hangeul-Zeichen an und grölen: «Ätsch, das versteht ihr jetzt halt nicht!». Strassenbezeichnungen, Lebensmittel, Ticketautomaten, Stadtpläne, Webseiten, Konsumprodukte, Speisekarten: Alles auf koreanisch, und zwar ausschliesslich. Als «Ungebildeter» (=so bezeichnen Koreaner Leute, die kein Koreanisch können) hat man keine Chance, man schaltet rasch in den Ausprobiermodus.
Damit jetzt aber kein falscher Eindruck entsteht: Uns gefällt dieses Analphabeten-Dasein tierisch. Es ist ja so offensichtlich, dass wir hier fremd sind, wir müssen uns weder Mühe geben, noch versuchen alles perfekt hinzukriegen. Es kommt einfach wie’s kommt.
Und diese Stadt erstaunt uns jeden Tag von neuem: Nachdem wir spätnachts bei Dunkelheit angekommen waren, entzückten uns am anderen Morgen die Berge, die da vor unserer Nase standen: Nie wär mir in den Sinn gekommen, dass Seoul hügelig sein könnte. Kurz darauf kamen wir an einer Schweizer «Läderach»-Filiale vorbei. Bei grossen Strassenkreuzungen haben sie hier richtungsgetrennte Fussgängerstreifen. Die jüngeren Semester bahnen sich problemlos ihren Weg durchs Gedränge, ohne auch nur einmal von ihrem Händi aufzuschauen. Und unsere koreanische Vermieterin kann akzentfrei «Tipp topp» und «En Guete» sagen.
Ach ja: Wohnen tun wir übrigens im Stadtteil Jongno-gu, in einem herzigen «Hanok», mitten im «Seochon Hanok Dorf» und unweit des Gyeongbokgung-Palasts. Hanok, so heissen die traditionellen koreanischen Wohnhäuser. Diese kleinen, einstöckigen Holzhäuser umfassen einen Innenhof und sind eng aneinandergebaut. Die Zugangsstrassen sind entsprechend schmal und verwinkelt, das ganze Quartier ist ein einziges Labyrinth. Unser Haus hat ein Schlafzimmer mit Futon, eine kleine Büroecke, ein Wohnzimmer, eine Küche und ein Bad, dazu noch einen ungeheizten Raum für die Teezeremonie. Die Schiebetüren sind aus Holz und Papier und fast alle Räume haben Zugang zum Innenhof. Wir haben Bodenheizung und superschnelles Internet. Und in der Nacht ist es so wunderbar still, dass man vergisst, dass man sich mitten in einer 10-Millionen-Stadt befindet.
Alt und neu passen in Seoul gut zueinander, denn kaum einen Kilometer weiter stehen die Wolkenkratzer von Jongno-gu und die Shopping-Paläste von Itaewon, aber davon ein andermal mehr.
Loisel sagt:
Wiederum einen sehr eindrücklichen Bericht. Herzlichen Dank und weiterhin eine gute Reise.
15. April 2017 — 18:16